Fluch des Magiers
den Baumriesen des Eirun-Waldes.
Selbst hier am Rand reckten sich Gilthonians Bäume doppelt so hoch in den Himmel wie der höchste Baum des Umlandes, und weiter innen wuchsen sie sechsmal so hoch. Die Plattform der Wächter befand sich beinahe sechzig Mannslängen über dem Boden und bot einen weiten Ausblick auf das umgebende Land. Gelb schimmerndes Moos bedeckte den Boden, und Beerensträucher trugen das ganze Jahr über reichlich Früchte. Dennoch war Gilthonian nicht nur ein Land des Friedens, wie bis zu zehn Mannslängen hohe, mit eisenharten Dornen bestückte Büsche bewiesen. Diese konnten ihre Dornen bis zu hundertachtzig Schritt weit schießen und damit jede Rüstung durchschlagen. Auch die Wächter wirkten aufmerksam. Selbst jetzt, als sie Erulim begrüßten und ihm zuwinkten, blickten immer einige von ihnen auf das Land hinaus.
»Erwartet ihr Feinde?«, fragte Erulim.
Reodendhor schüttelte den Kopf. »Nein, das tun wir nicht. Doch wir wollen uns nicht überraschen lassen. Königin Helesian glaubt, dass die Völker des Ostens über den Strom kommen werden, um ihre Niederlage im Süden zu rächen. Wenn dies geschieht, wird Gilthonian den Reichen dieser Seite beistehen!«
»Ihr seid also zum Kampf gerüstet?« Erulim hatte es nicht anders erwartet, tat aber überrascht.
»In dem Augenblick, in dem wir gerufen werden, stehen wir bereit!« Reodendhor schwang sich in den Sattel, wartete, bis auch Erulim aufgesessen war, und übernahm dann die Führung.
Für Menschen und deren Reittiere wäre es ein mehrtägiger, anstrengender Ritt geworden. Die Pferde der Eirun legten jedoch Meile um Meile im raschen Lauf zurück, ohne zu erschöpfen, denn die Ausstrahlung des Waldes verlieh ihnen stets neue Kräfte. Dennoch wechselten Reodendhor und Erulim unterwegs zweimal ihre Reittiere, um diese nicht zu überanstrengen, und erreichten bereits gegen Mittag des nächsten Tages das Zentrum des Eirun-Waldes.
Hier knisterte die Luft vor Magie. Zum Teil stammte sie von der natürlichen Ausstrahlung der Gelb-Eirun, doch das meiste kam von dem Baum in der Mitte des Waldes, der über alle anderen hinausragte. Von einem Hügel aus konnte Erulim seine riesige, fast kreisrunde Krone erkennen. Er trug große gelbe Blätter und winzige goldene Blüten, die seine magische Kraft am stärksten versprühten. Der Baum der Königin, wie er genannt wurde, war gesund und konnte noch Tausende von Jahren hier stehen.
… oder in einem Tag verwelkt sein, fuhr es Erulim durch den Sinn, denn er besaß die Macht dazu, ihn zu vernichten. Wenn der Heilige Baum von Gilthonian starb, würde das Land die Kraft verlieren und alle anderen Bäume innerhalb seiner Grenzen ebenfalls eingehen. Da die Eirun auf die Kraft des Königinnenbaumes angewiesen waren, würden sie die Dämmerlande verlassen und ins Gelbe Land zurückkehren müssen. Genau das war sein Plan.
Erulim brach seine Überlegungen ab, als er sah, dass Reodendhor unruhig wurde und sich umblickte, als sei er auf der Suche nach etwas Verderblichem. Ich muss vorsichtiger sein und ständig im Auge behalten, dass er ein besonders guter Spürer ist, sagte Erulim sich. Daher begann er ein lautloses Gespräch über ein Thema, bei dem ihn weder seine Gefühle und noch seine magische Ausstrahlung verraten konnten.
☀ ☀ ☀
Der Baum der Königin stand ganz allein mitten auf einem sechshundert Schritte durchmessenden Platz, der von sechs großen Wohnbäumen umgeben wurde. Diese trugen die Wohnstätten der Königin von Gilthonian und ihres engsten Gefolges. Brücken aus Kristall verbanden die einzelnen Gebäude wie Spinnengeflecht und reichten an mehreren Stellen bis zum Boden.
Erulim rechnete damit, zu einem dieser Aufgänge gebracht zu werden. Stattdessen führte Reodendhor ihn zum Heiligen Baum. Neben dem gewaltigen Stamm stand ein schlichter Stuhl, der von Luftwurzeln des Baumes gebildet wurde, und darauf saß eine schlanke, hochgewachsene Frau, deren schmales Gesicht zeitlos wirkte. Strahlend gelbe Augen sahen Erulim so durchdringend an, dass dieser den Blick abwenden musste, weil er befürchtete, Helesian könne bis in die Tiefen seiner Seele blicken.
»Ich grüße Euch, Herrin von Gilthonian«, begann er.
Helesian hob anmutig die Hand. »Ich grüße Euch, Freund Erulim. Reodendhor hat mir berichtet, Ihr hättet Neues über meinen Bruder erfahren.«
Also hatten die beiden aus der Ferne geistig miteinander gesprochen, und er hatte es nicht bemerkt. In Erulim kochte Ärger hoch, aber er
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