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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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gutes Dutzend der Flüchtlinge auf dem Boden und wartete aufgeregt darauf, das erste Wort lesen zu lernen, vor allem, weil der Erwerb solcher Kenntnisse für einen Schwarzen im Süden ein Verbrechen darstellte, das mit dem Tod bestraft wurde. Gowers sah, wie sich ihm alle Gesichter erwartungsvoll zuwandten, sah ihren Ernst, aber auch ihre Freude und überlegte nur kurz. Dann holte er eine der alten Kabinentüren, die sie ausgebaut hatten und die mit einer Menge anderer Holzteile noch an Deck aufgestapelt lag. Ein handliches Stück Kohle musste die Kreide ersetzen.
    »Ich werde ein paar Buchstaben auf diese Tür schreiben«, sagte er, während er es bereits tat, »und euch sagen, welches Wort sie ergeben. Danach wird jeder von euch das Wort genau nachmalen. Wir werden dann gemeinsam nach anderen Wörtern suchen, die mit dem gleichen Buchstaben anfangen.« Er trat zur Seite.
    »Und was heißt es, Sir?«, fragte ein etwa elfjähriger Junge, der spindeldürr und halb verhungert aussah, und dessen Kleider ihm am Leib zu Lumpen zerfallen waren.
    »Freiheit«, antwortete Gowers und wunderte sich nicht, dass die nächsten Wörter »Freundschaft«, »Familie«, »Farm« und »Feld« waren. Aber auch »Feuer«, »Fehler« und »Furcht«. Er war nicht umsonst der Sohn einer Lehrerin.

120.
    Es war ein strahlend schöner Sonntag in der kleinen Siedlung Matawhero, die eigentlich nur aus einem Dutzend weit verstreut liegender Farmen bestand. Der Waipaoa River umfloss in einer weiten Schleife das ungewöhnlich fruchtbare Land, den fetten schwarzen Ackerboden, der ursprünglich sein altes Flussbett gewesen war, bis der Rongowhakaata-Stamm es ein Vierteljahrhundert zuvor in harter Arbeit trockengelegt hatte. Die jetzigen Besitzer, Reginald Biggs, James Wilson, George Goldsmith, William Green und ein halbes Dutzend anderer Pakeha trafen sich wie jeden Sonntag beim Kirchgang, dankten Gott einmal mehr für seine Güte, beteten aber seit knapp vier Wochen inbrünstiger für den Erhalt dieses ihres Glücks. Denn sie waren Diebe, und sie wussten es.
    Sie hatten den großen Hauhau-Aufstand zwei Jahre zuvor ungewöhnlich schamlos für sich ausgenutzt und die rechtmäßigen Maorieigentümer des fruchtbaren Landes als angebliche Rebellen enteignen und deportieren lassen. Die übrigen Parzellen hatten sie willigeren Eingeborenen abgekauft, die sich ihrerseits widerrechtlich das Land der Verschleppten angeeignet hatten. Die Gerüchte von der Rückkehr der Betrogenen hatten die Siedler von Matawhero deshalb persönlicher getroffen als das übrige weiße Neuseeland, das in der Flucht der Whakarau bislang nur einen Akt der Insubordination, aber keine ernsthafte
Bedrohung sah. Glücklicherweise hatten die Farmer Reginald Biggs auf ihrer Seite, der Militärkommandeur der Poverty Bay und der Turanga-Region war und durch seine sofortige Verfolgung die Ausbrecher in die unzugänglichen Urwälder gedrängt hatte. Mochten sie dort verrotten, solange nur keine offizielle Untersuchung der illegalen Landnahme den Besitz der Siedler infrage stellte!
    Die letzten Nachrichten, die Biggs von seinen Kupapa-Milizen über die Aktivitäten der geflohenen Rebellen erhalten hatte, waren zwar beunruhigend  – nächtliche Feuer auf den Hügeln im Norden, die auf eine heranrückende Truppe schließen lassen könnten  –, aber ein offener Angriff auf Matawhero schien den Weißen, die im Schatten ihrer Kirche über diese Möglichkeit diskutierten, doch weitgehend ausgeschlossen zu sein. Sie tranken, sie rauchten, sie holten ihre Kinder aus der Sonntagsschule ab und begaben sich dann auf ihre Farmen, um den Tag des Herrn auf ihre Weise zu heiligen: ein gutes Essen, ein wenig Zeitungslektüre, ein Nachmittagsschläfchen und gegen Abend vielleicht die wöchentliche Annäherung an ihre Frauen, für die an den übrigen arbeitsreichen Tagen zu wenig Zeit blieb. Aber etwas an diesem Sonntag war anders; er war stiller.
    George Goldsmith kam auf einem kleinen Spazierritt durch das Eingeborenendorf Patutahi und fand es von seinen Bewohnern verlassen. Er wandte sich in das benachbarte Pukeamionga, und auch diese kleine Maorisiedlung war leer. Goldsmith traf lediglich auf den loyalen alten Häuptling Paratene Pototoi, der ihm etwas Absonderliches berichtete: Der alte Mann hatte nördlich von Patutahi eine frisch geschlagene Schneise im dichten Urwald entdeckt, die er für den heimlich angelegten Weg einer Taua, also einer größeren Gruppe feindlicher Krieger, hielt. Aber da

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