Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
und die riesigen bemoosten Bäume wirkten so düster, als würden sie um alles trauern, was in ihrem Schatten lag. Die Pässe, die sie überschritten, stiegen bisweilen über tausend Meter hoch, und entsprechend tief waren die Schluchten, die der Ruakituri River, dessen Lauf sie zu folgen versuchten, in das uralte Vulkangestein geschnitten hatte. An vielen Stellen wurden die Pfade so
eng, dass die Frauen nicht einmal ihre Kinder an der Hand führen konnten; sie schlangen Seile um ihre Hüften, an denen sie die Kleinen, die eben laufen konnten, in ihrer Spur nachzogen. Dadurch dehnte sich ihre Kolonne mitunter auf mehr als einen Kilometer aus, und das war gefährlich, denn ihre Späher meldeten, dass Reginald Biggs ihnen gegen jede Logik und trotz ihrer Warnungen Kupapa-Milizen hinterhergeschickt hatte.
Te Kooti, nicht mehr nur organisatorischer und religiöser, sondern nun auch noch militärischer Führer, ließ Hinterhalte anlegen, und zehn Tage nach ihrem Aufbruch vom Meer kam es zu ersten tödlichen Gefechten, in denen die Whakarau Sieger blieben. Ihre Verwundeten erschwerten jedoch ihr weiteres Vorwärtskommen. Die Nachrichten, die ihre Aufklärer von vorn, aus dem Taupo-Distrikt und der Kaingaroa-Ebene, brachten, erwiesen sich indes als noch schlimmer. Die Tuhoe, Te Arawa, Huri und Tuwharetoa, Stämme, auf deren Duldung, wenn nicht gar Wohlwollen sie gerechnet hatten, erwiesen sich als ihnen feindlich gesinnt und wollten den Durchzug durch ihre Gebiete nicht gestatten.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach Nordosten zu wenden, tiefer hinein in den ungeheuren Wald von Te Wera, und hier erreichten sie, auf einem Bergkamm, zu Tode erschöpft, ein schon vor Hunderten von Jahren aufgegebenes Pa, von dem die Wildnis wenig mehr als die Umrisse der einstigen Befestigung übrig gelassen hatte. Sie rodeten, bauten Hütten, legten Felder an und hoben Verteidigungsgräben aus, denn sie brauchten einen Platz für Aussaat und Ernte, wenn sie nicht auf dem langen Marsch ins Gelobte Land verhungern wollten.
Ihr Prophet und Anführer aber fällte in dieser Zeit eine folgenschwere Entscheidung, die seinen Namen tief ins Gedächtnis des weißen Neuseeland und seiner Geschichte einbrennen sollte. Er sah nur eine Möglichkeit, die ständige Verfolgung und Bedrohung seines Volkes mit einem Schlag zu beenden: Er beschloss, die Pakeha und ihre Verbündeten anzugreifen!
Te Kooti reinigte sich für diese fast unlösbare Aufgabe, fastete, betete, opferte, und in einer der Visionen, die er im Zuge dieses mehrtägigen Rituals hatte, wurden ihm die Zeichen offenbart, die dem Amerikaner gegeben werden sollten. Gowers hatte sich in den vergangenen beiden Wochen als loyaler, aber zurückhaltender Begleiter gezeigt. Die Schnelligkeit und die Umsicht, mit der die Whakarau vorgingen, sei es auf dem Marsch, im Gefecht oder bei der Urbarmachung des Waldes, hatten ihn offensichtlich beeindruckt. Dennoch konnte der Prophet nicht von diesem Mann verlangen, gegen seine eigene Rasse zu kämpfen — es sei denn, er würde zuvor einer von ihnen.
Zunächst sah alles nach einem weiteren Opfer aus: Te Kooti ließ für den Amerikaner eine separate Hütte errichten und führte ihm dann seine eigene Frau, Maata Te Owai, zu. Gowers hatte zu seiner Überraschung bereits auf dem Schiff festgestellt, dass der Prophet mehrere Frauen hatte, wusste aber nicht, dass schon der alte Te Ua Huamene die Monogamie verworfen hatte. Anders als der Islam oder die amerikanischen Mormonen betrachteten das Pai Marire und das Ringatu jedoch nicht mehrere Frauen als das eifersüchtig gehütete Eigentum eines Mannes, sondern pflegten eine Polygamie, in der die Fruchtbarkeit der Gemeinschaft und nicht die eines Patriarchen im Mittelpunkt stand. Schlicht gesagt stand es also auch jeder Frau frei, mit mehreren Männern zu schlafen, und wenn auch der Partnertausch nur relativ selten vorkam, weil er so vielen so alten Traditionen widersprach, so war er doch weder unerwünscht noch geächtet.
Das alles wusste der Investigator nicht; er sah nur einen Mann vor sich, der ihm aufgrund einer göttlichen Offenbarung seine Pfeife und ein Buch weggenommen hatte — und ihm aus dem gleichen Grund jetzt seine Frau überließ. Das überzeugte ihn zwar nicht vom Glauben des Propheten, aber doch von der Ernsthaftigkeit dieses Glaubens, zumindest in diesem Moment.
Maata Te Owai war Anfang zwanzig und eine weniger üppige
Schönheit als die meisten Wahine, die er bisher gesehen
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