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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Nacken, damit ich sehe, wenn der Tod kommt!«
    Te Kooti nickte, Maaka Ritai nahm Maß und spaltete dann dem Alten das Gesicht bis auf den Unterkiefer, aus dem die Streitaxt sich nur mit Mühe wieder lösen ließ. Die anderen Todeskandidaten wurden erschossen und erst danach mit Beilen, Schwertern und Bajonetten bearbeitet, denn Te Kooti ließ seine Krieger in diesen blutigen Tagen immer wieder den Psalm 63, 11 singen: »Sie werden dem Schwert hingegeben und den Schakalen zur Beute werden.« Und damit auch der zweite Teil dieses grausamen Verses wahr würde, befahl er, die Leichen unbestattet zu lassen, obwohl es auf Aotearoa keine Schakale, sondern nur ein paar verwilderte Haushunde gab.
    Insgesamt siebzig Tote lagen so schließlich auf seinem Weg durch Turanga und in die Geschichte, und so berechtigt seine Ansprüche auf das Land am Waipaoa sein mochten, so ungerecht und grausam war etwa die Ermordung der sechzehnjährigen Maria Goldsmith, deren einziges Verbrechen es war, Tochter von George Goldsmith zu sein, der einst als Konstabler mitgeholfen hatte, Te Kooti zu verhaften. Maria wurde in den Rücken geschossen, als sie zu fliehen versuchte, und wer einem flüchtenden Kind in den Rücken schießt, der ist, bevor er irgendetwas anderes, ein Prophet, ein Rächer, ein Krieger, ein Freiheitsheld ist  – ein wertloser Feigling.

121.
    Gowers erwachte mit dem Gefühl, dass sein Gesicht brannte, und tastete instinktiv nach Schläfen, Kiefer und Kinn, fand sie aber mit dicken, in Leinöl getränkten Binden bedeckt. Sie abzuziehen vergrößerte die Schmerzen, und er zuckte vor seinen eigenen Fingern zurück, die ihm jedoch nach einer Weile verrieten, dass sein Gesicht offenbar voller Schnittwunden war. Ihr feiner, über Nacht ausgebildeter Schorf zerriss an den Stellen, an denen er sich berührte, und an seinen Fingerspitzen war frisches Blut, als er sie ansah.
    »Was, zum Teufel …«, sagte er laut, bereute es aber sofort,weil die Bewegung seines Mundes einen so scharfen Schmerz auslöste, als hätte er sich beim Rasieren geschnitten. Er biss die Zähne zusammen, aber auch das Anspannen der Kiefermuskulatur verursachte das Gefühl, die Haut darüber würde zerreißen. Wasser! Kühlung!, dachte er, fand aber in der ganzen Hütte keinen Tropfen Flüssigkeit und presste schließlich widerwillig die schon zur Seite geworfenen Leinverbände auf die schmerzenden Stellen. Was zur Hölle war mit ihm geschehen?
    Die Hand auf Kinn und Kiefer gelegt wie ein schwer Zahnwehkranker taumelte er ins Freie, fand aber niemanden, der ihm eine Erklärung für seinen Zustand geben konnte. Das Lager war nahezu leer. Nur ein paar kleine, teilweise nackte Kinder spielten neben der neu errichteten Palisade, deren zugespitzte Stämme noch den Geruch frisch geschlagenen Holzes ausströmten. Da er zum Glück für alle Beteiligten sonst keinen Menschen sah, ging er zu ihnen hinüber und unterbrach ihr Spiel mit der kleinen, halb toten Eidechse, die sie im Kreis herumscheuchten, und sie lachten ihn an.
    Gowers erwiderte ihr Lächeln, besann sich aber rasch eines Besseren: Hölle und alle Teufel! Was war mit seinem Gesicht los? Als er für einen Moment Hand und Verband von seinem
Kinn nahm, sah er, wie die Augen der Kinder sich weiteten und ihre kleinen schmutzigen Münder aufklappten. Gottverfluchte, alberne Geschichte: Diese Rotznasen wussten mehr über ihn als er selbst! Er erkannte das kleine Mädchen, das ihn an Bord der Rifleman angestrahlt hatte, und beugte sich zu ihr hinunter.
    »Du«, flüsterte er hinter wieder vorgehaltener Hand und versuchte dabei, seine Lippen so wenig wie möglich zu bewegen. »Ein Spiegel! Ich brauche einen Spiegel!« Ob sie ihn verstanden hatte, ob man ihn überhaupt verstehen konnte, wusste er nicht, jedenfalls wich ihr lachendes Unverständnis einem sehr ernsthaften Stirnrunzeln, sie erhob sich und ging ein paar Schritte in Richtung der Hütten. Ihr Kleid war schmutzig vom Staub, in dem sie gesessen hatte, und Gowers fragte sich, ob sie aus Angst wegging oder wusste, was er wollte.
    Heni blieb stehen, weil der große weiße Moana-poutikanga oder Seeführer ihr nicht folgte. Sie war sechs Jahre alt und hatte immer noch ein wenig Angst vor ihm, wie sie Angst vor allen Pakeha hatte. Sie war noch zu klein, um sich an das Leben in ihrem Heimatdorf zu erinnern; sie kannte nur die Gefangenschaft auf der fernen kalten Insel, und die Pakeha dort waren böse Männer gewesen, die sogar ihrer Mutter Angst gemacht hatten.

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