Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Strom zu schwimmen. Also ließ sie sich mitreißen in die Hauptstraße des französischen Viertels, hielt sich aber im Hintergrund, dicht an eine Hauswand gepresst. Es war ohnehin nicht sehr viel zu sehen; eine Traube von Männern stand dichter gedrängt als die übrigen Zuschauer um ein Zentrum, in dem Deborah nichts erkennen konnte als geschüttelte Fäuste und wütende Gesichter.
Plötzlich wandten sich ihr all diese Gesichter zu, und ihr Herzschlag jagte in ihren Schläfen. Aber dann sah sie, dass dieses Interesse nicht ihr galt. Aus dem Hauseingang, in dem sie stand, erschien vielmehr ein kleiner, dünner Mann mit einem Strick und wurde johlend, mit viel Schulterklopfen begrüßt, als habe er als Einziger inmitten der allgemeinen Hysterie einen klaren Kopf bewahrt. Die Menge teilte sich vor dem Mann, und Deborah konnte einen kurzen Blick in
die entstehende Gasse werfen. Die Männer im inneren Kreis hielten ein seltsames, großes Bündel gepackt, das schlaff und widerstandslos von ihren Händen mehr aufrecht gehalten als niedergedrückt wurde.
Erst als der kluge kleine Mann, der den Strick geholt hatte, einen schwarzen Kopf an den Haaren aus dem Bündel hob und ihm die Schlinge um den Hals legte, erkannte Deborah, dass es ein Mensch, dass es Gandalod war.
Als man den Sklaven von seinem Herrn herunter zerrte, hatte er sich gewehrt, aber immer noch nicht daran gedacht wegzulaufen, sondern versucht, wieder an sein Opfer heranzukommen, das röchelnd und spuckend am Boden lag und kaum noch bei Bewusstsein war.
Dieser Schwarze war offenbar nicht nur gewalttätig, sondern auch verrückt. Ein Amokläufer, wie es sie unter den Niggern im Süden immer wieder hier und da gab. Im Norden konnte man sogar Vorträge darüber hören, dass die Sklaverei gerade bei klugen und einsichtsvollen Individuen Gewalttaten dieser Art fast zwangsläufig hervorbringe, wenn sie erkannten, dass sich an ihrer Situation ihr Leben lang nichts ändern würde, egal was sie taten oder ließen. Im Süden sah man es eher als eine Art von Tollwut an und stand den Tätern mitleidloser gegenüber als einem durchgehenden Pferd.
Gandalod war durch die Schläge von allen Seiten ohnmächtig geworden und kam erst wieder zu sich, als sich der Strick um seinen Hals zusammenzog und er daran vorwärtsgezerrt wurde, hin zur nächsten Straßenecke und ihrer prächtigen, fast vier Meter hohen gusseisernen Straßenlaterne im Stil des französischen Empire. Dort wurde er hochgehoben und konnte zum ersten Mal die Menge überblicken, die ihn fast einen Häuserblock weit umstand. Wütend, stellte er verwundert fest, waren eigentlich nur die Männer, die ihn gepackt hielten. Je weiter die Leute weg waren, desto freudiger, amüsierter starrten die Menschen ihn an.
Der kleine dünne Mann, ein Ladengehilfe in einem Kurzwarengeschäft, war noch dabei, den Strick an der Laterne zu befestigen, als die Menge sich noch einmal teilte, diesmal erschrocken, respektvoll,
mitleidig. Desmond Bonneterre humpelte, tapfer auf seinen Stock gestützt und die andere Hand an seinen Hemdkragen gelegt, als würde er ihm die Luft abschnüren, auf den Mittelpunkt des Schauspiels zu, und niemand musste gesondert erwähnen, dass er der Geschädigte war. Die Zuschauer verstummten mit einem Schlag und erwarteten jetzt sozusagen das letzte Aufflackern des menschlichen Dramas, unmittelbar vor seinem schaurigen Höhepunkt. Aber Bonneterre krächzte zur allgemeinen Enttäuschung nur:
»Lassen Sie ihn herunter, Gentlemen. Der Mann gehört mir. Er ist gesetzlich mein Eigentum!«
Da war nichts zu machen, nicht dran zu rütteln, sie stünden ja sonst wie Diebe da. Ganz kurz hofften sie noch, der Mann würde das Hängen mit eigener Hand besorgen, aber als er seinen Nigger nur mit sich fortzog, zerstreute die Menge sich missmutig, um ihr Schauspiel betrogen.
Nur der kleine, dünne Ladengehilfe folgte Bonneterre und lamentierte devot; er wollte seinen Strick wiederhaben.
61.
Ihr erster Impuls war davonzulaufen. Aber der naheliegende Gedanke, dass sie das verdächtig machen und man ihr nachlaufen würde, hielt sie davon ab. Also sah sie zu, wie Gandalod von der geilen Menge fortgerissen und in die Höhe gehoben wurde; wie man ihn zugerichtet hatte und widerwillig wieder herunterlassen musste. Wie er am Strick von seinem Herrn mitgezerrt wurde.
Deborah folgte ihnen in vorsichtigem Abstand, bis sie im Mietstall eines Hotels verschwanden. Kurz darauf wurden im Innern Laternen entzündet, lief ein
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