Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
verurteilt worden waren, war lediglich die Sache einiger größerer Geldscheine an einige kleinere Beamte. Sie identifizierten auch unabhängig voneinander das Messer, das in Poll Hunleys Leib gesteckt, das Gowers behalten und auch im Prozess nicht vorgelegt hatte, um sich nicht noch stärker zu belasten, als Eigentum von James Fagan.
Aber Nell, jung, schön und skrupellos, hatte es in der Kolonie in so kurzer Zeit zu einer so schaurigen Berühmtheit gebracht, dass an die Bestechung ihrer Wärterinnen und eine heimliche Befragung nicht zu denken war. Nach ihrer Blendung durch Maguire hatte es sogar nicht an – vorwiegend männlichen – Stimmen gefehlt, die sie für bestraft genug hielten und ihre Begnadigung forderten. Sie hätte ausgerechnet Gowers, dem Mann, der sie in diese Lage gebracht hatte, freiwillig auch nicht einmal gesagt, wo oben und unten ist. Der Investigator überlegte lange, wie er dennoch an eine brauchbare Aussage der Rädelsführerin
gelangen könnte, kam zu einem ebenso riskanten wie aussichtsreichen Ergebnis und wartete dann ruhig die Nacht vor der Hinrichtung ab, ehe er eine Kirche aufsuchte.
Niemand kannte den jungen Geistlichen, der angab, den urplötzlich erkrankten Reverend Bowman zu vertreten. Niemandem kam der Verdacht, dass der Reverend in Wahrheit seit zwei Stunden gefesselt und geknebelt im bequemsten Sessel seiner Dienstwohnung leider mehr lag als saß. Denn niemand konnte sich vorstellen, warum irgendwer so dreist und verrückt sein sollte, freiwillig eine der makabersten Rollen im Schauspiel einer staatlich angeordneten Tötung zu spielen; die des Beichtvaters und geistlichen Begleiters auf dem letzten schweren Gang.
»Lassen Sie uns bitte allein«, sagte Gowers, als er die Zelle der bereits behördlich auf ihren Tod vorbereiteten Delinquentin betrat. Niemand wunderte sich, und jeder gehorchte dieser Aufforderung, da man sich von der auch seelischen Stärkung der Todeskandidatin einen ungestörteren Ablauf des mörderischen Vorgangs versprach.
»Nell?« Gowers beugte sich dicht zu der Verurteilten hinunter und flüsterte die Worte in ihr Ohr, denn so respektvoll die Wachen auch den Raum verlassen hatten, die Tür war offen geblieben und der Gang voller aufgeregter Polizisten. »Erkennst du meine Stimme? Ich bin John Gowers und soll dir ein letztes Angebot machen.«
Nell Fagan lächelte. Sie hatte also recht behalten, niemand würde sie hinrichten!
»Ich wusste es«, murmelte sie glücklich.
»Wir wissen, dass es dein Bruder war«, sagte Gowers rasch. »Du wirst begnadigt, wenn du uns hilfst, ihn zu finden. Wo könnte er sein? Wer könnte ihm helfen? Sag mir einfach alle Namen, die dir einfallen!«
Nells Freude, der ungeheure Triumph, noch einmal den richtigen Riecher gehabt zu haben, ließen sie sogar ihren Hass auf den Mann vergessen, der ihre Pläne vereitelt, ihre Hand gebrochen,
ihr Gesicht zerschlagen hatte. Arglos sagte sie zum ersten Mal in ihrem Leben alles, was sie wusste. Jamie hatte sie verraten, sie nicht befreit, keinen Finger für sie gerührt. Nun sollte er sehen, wer wen hängen ließ!
Sie wurde zeitweise so laut, dass Gowers sie beschwichtigen musste. Wie ein Priester in der Beichte legte er dann eine Hand vor die Augen, um seinem Gedächtnis die neuen Informationen einzuverleiben.
»Der Gouverneur ist hier im Haus«, sagte er am Ende. »Ich werde jetzt sofort zu ihm gehen. Die Begnadigung wird erst ganz zuletzt verkündet. Denk dir nichts, selbst wenn sie dir den Strick um den Hals legen!« Er wusste nicht, ob er es der jungen Frau damit leichter oder schwerer machte, aber es würde auf jeden Fall dazu führen, dass sie seine Scharade niemandem verriet.
Nell Fagan hörte, wie er zurücktrat, aber sie sah nicht, wie der vermeintliche Priester ein letztes Kreuzzeichen über ihr schlug und den wartenden Wachen ernst zunickte. Widerstandslos ließ sie sich ins Dunkel führen, leichten Herzens stieg sie die knarrenden Stufen zum Galgen hinauf, jede Sekunde des köstlichen Wissens genießend, dass ihr nichts geschehen würde, dass sie gefeit war durch einen geheimen Vertrag mit dem Teufel.
Niemand achtete mehr auf den Priester, alle Augen hingen an der bemerkenswert gefassten Verurteilten. Gowers verfolgte das grausige Schauspiel wie alle anderen und senkte seinen Blick auch nicht, als sich herausstellte, dass die Schlinge schlecht geknüpft war und der Delinquentin nicht das Genick brach. Stattdessen zappelte Nell eine endlose Minute lang wie ein Wurm
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