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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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noch der undurchdringliche Rauch, in dem sich jede Kontur verlor. Man schien auf einem trüben, nebligen Meer zu schwimmen und wusste bei hoch stehendem Wasser nicht einmal genau, ob man sich noch im Flussbett befand oder längst auf einer der Plantagen. Gelegentlich war es hier bei Hochwasser sogar vorgekommen, dass kleinere Dampfschiffe einsam stehende Farmhäuser oder ihre Speichertürme rammten.
    Sie ankerten den Tag über unterhalb von Hermitage, in einer der letzten Flussbiegungen vor Baton Rouge, und entzündeten wieder ihre Tannenholzfeuer, um mit ein wenig Glück für einen Haufen schwelender Bagasse gehalten zu werden. Gleichzeitig befahl John, mithilfe des Lotsenboots so viel wie möglich von dem stinkenden, halb verfaulten Zeug an Bord zu schaffen, da sie spätestens New Orleans, dessen Stadtteile sich auf beiden Seiten des Mississippi befanden, nur, wie er spöttisch sagte, »als Nebelbank getarnt« unbemerkt passieren konnten.
    Aber auch in der letzten Nacht verlief ihre Fahrt erstaunlich glatt, wenn man von einem unbeleuchteten kleinen Floß absah, das ihnen ins Gehege kam, aber naturgemäß den Kürzeren zog. Sie vergewisserten sich, dass die erbosten Flößer ihr unfreiwilliges Bad unbeschadet überstanden hatten, und sahen sie ihre Fäuste gegen den Idioten schütteln, der da nachts ohne Licht unterwegs war. Auch dieser Unfall war eine alltägliche Begebenheit im Leben des Flusses.
    New Orleans erreichten sie um drei Uhr nachts, und hier machte John sogar seine Pfeife aus und ließ die Bagasse verfeuern, die sie zwar vor jedem Blick, aber nicht vor jeder Nase verbarg, da der so erzeugte
Rauch stank wie die Hölle und all ihre Teufel. Man bemerkte sie, bemerkte sie sogar gründlich  – vor allem in den in Windrichtung liegenden Wohnvierteln  –, aber man sah sie nicht. Und abgesehen von den bitteren Flüchen, die hier und da einzelne der so unangenehm und schleichend aus dem Schlaf gerissenen Einwohner auf die ganze Menschheit schleuderten, blieb die Nacht ruhig.
    In der Morgendämmerung warfen sie Anker in Myrtle Grove, schon weit im Delta des Mississippi, und hatten ihr Ziel erreicht.

66.
    Franklin Sykes, M. D., war vor einigen Jahren Nells Liebhaber gewesen, obwohl er etwa drei Mal so alt war wie die damals Sechzehnjährige. Sein Titel war echt und aus Cambridge,wenn seine medizinische Tätigkeit auf dem fünften Kontinent auch vorwiegend darin bestand, Abtreibungen vorzunehmen. Er wohnte zu diesem Zweck periodisch wechselnd in den Hinterzimmern der zahlreichen Hafenbordelle, wo er naturgemäß viele seiner Kundinnen fand, behandelte aber auch andere Frauen, Zimmermädchen, Ladengehilfinnen, die sich unglücklich gemacht hatten. Gelegentlich gehörte zu seinen Obliegenheiten auch die Erstversorgung verletzter Zuhälter und Rausschmeißer, von Dieben oder Räubern, die in Ausübung ihres Berufs körperlichen Schaden genommen hatten. Man hätte ihn einen Wohltäter der unteren Klassen nennen können, wenn er nicht stets einen angemessenen Anteil an der Beute verlangt hätte.
    Seine Kuren und Künste waren bei den Patienten nicht eben beliebt, aber das Beste, was man für wenig Geld und vor allem: unter der Hand bekommen konnte, und es wunderte deshalb niemanden, dass ein bis zum beginnenden Wahnsinn verwegen aussehender junger Mann mit einer blutigen Schmarre im Gesicht in mehreren Etablissements nach Doktor Sykes fragte, ehe er ihn schließlich fand.
    James Fagan trat in ein enges, schmutziges Zimmerchen ein, ohne sich die Mühe des Anklopfens zu machen.
    »Raus!«, knurrte Sykes, der gerade mit zwei stricknadelähnlichen Geräten in einer jungen Dame beschäftigt war, die mit angezogenen Beinen und einem Stück Holz zwischen den zusammengebissenen Zähnen auf einem viel zu kurzen Küchentisch lag.
    »Ich bin’s«, sagte Fagan mit flatternder Stimme, der die Flucht durch das Morgengrauen noch anzuhören war. »Jamie!«
    Der Arzt hob nur kurz den Kopf.
    »Oh! Setz dich. Trink was!«
    Er reichte dem Jungen eine unetikettierte braune Flasche, mit deren Inhalt er eben seine Hände, sein Werkzeug und seine Kehle desinfiziert hatte. Jamie setzte sich, trank, und sein Ächzen unter der verheerenden Wirkung der scharfen Flüssigkeit vermischte sich mit dem plötzlichen Aufstöhnen der Patientin, als Doktor Sykes die Behandlung fortsetzte. Ihr Kopf, den sie eben noch krampfhaft erhoben hatte, sank zurück, fand keinen Halt auf der Tischplatte und hing über die Kante herab, bis ihr langes wirres

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