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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Haar beinahe den Fußboden berührte. Unwillkürlich setzte sie die Ellenbogen auf und bewegte dabei offensichtlich das Operationsgebiet.
    »Halt deinen verdammten Arsch still«, sagte jedenfalls der durch nichts zu erschütternde Chirurg, »sonst durchlöchere ich dir am Ende die Blase!«
    Das Mädchen, nur unwesentlich älter als James Fagan, war anscheinend nicht zum ersten Mal in dieser unangenehmen Situation, denn sie schnaufte verständnisvoll, zustimmend, ergeben. Dabei lief ihr Rotz aus der Nase und mischte sich mit ihren Tränen.
    »Wie geht’s?«, fragte der Arzt und meinte nicht seine Patientin, in der er ungerührt weiter herumstocherte. »Wie geht’s Nell? Was ist mit deinem Gesicht passiert?« Er war berühmt dafür, dass er zu viel redete.
    Jamie wusste nicht genau, was Nell über den Arzt wusste und warum er ihr so verpflichtet war, dass er ihr mitsamt ihrem Bruder an schlechten Tagen immer mal wieder Unterschlupf gewährt hatte. Es hing wohl mit einem Todesfall unter seinen Patienten zusammen, und Fagan fragte sich nach einem angewiderten Blick auf den Behandlungstisch nur, wie vielen Leuten Sykes wohl noch für ihr Stillschweigen verpflichtet sein mochte.
    »Erledigt!«, sagte der Doktor, als nach seiner Erfahrung genügend kleine blutige Klumpen zwischen den Schenkeln seiner Patientin zum Vorschein gekommen waren. Als sie das Holz ausspuckte und sich schwankend vom Tisch erhob, befahl er ihr, noch einmal die Röcke zu heben, und drehte mit einer schnellen Bewegung ein Stück Tuch in ihre Scheide, das er zuvor in Alkohol getränkt hatte.
    »O Scheiße«, wimmerte die Frau, als der scharfe Desinfektionsschmerz sie beinahe in die Knie zwang. »O du schwarze Scheiße!«
    »Du solltest weniger fluchen, Helen.« Der Arzt grinste und fügte dann mit so viel medizinischem Ernst hinzu, wie sein verfehltes Leben ihm noch gelassen hatte: »Da darf eine Woche außer mir keiner ran! Hast du mich verstanden?«
    »Ja. Danke, Doc!« Helen nickte  – und verkaufte einem reichlich unbedarften Bankiersgehilfen aus der City das sickernde Blut noch am gleichen Abend als teures Zeichen ihrer durch ihn erledigten Jungfernschaft.
    »Also?«, fragte Sykes, als sie allein waren.
    »Ich muss von der Bildfläche verschwinden«, antwortete Fagan, »und werde darum erst mal ein paar Tage bei dir bleiben, bis ich eine Möglichkeit dazu finde.«
    »So schlimm?« Der Arzt wischte die Spuren der Abtreibung mit der flachen Hand in einen stinkenden Abfalleimer, ehe er die blutige Tischplatte mit Wasser, etwas Sand und einer schwarzfleckigen Scheuerbürste bearbeitete. Fagan nickte nur, für jede weitere Information zu erschöpft.
    »Gut. Lass mich aber wenigstens dein Gesicht verpflastern, damit du mir nicht das Bettzeug versaust«, sagte Sykes.

67.
    Was Franklin Sykes, M. D., in den nächsten Wochen aus der Zeitung erfuhr, brachte sogar ihn zum Schweigen. Er fragte James Fagan nicht mehr, was ihn an jenem Morgen hergeführt hatte, und hoffte nur noch, ihn möglichst schnell wieder loszuwerden. Die Gelegenheit dazu ergab sich, als die Schiffe der Neuseeländer einliefen und in allen Hafenkneipen die Anwerber der 5th Armed Constabulary nach Freiwilligen Ausschau hielten.
     
    »Und wie haben Sie ihn ausfindig gemacht?«
    Es war der dritte Abend auf See und zum dritten Mal saßen Captain von Tempsky und Joseph B. Williams unter dem Fockmast des Schiffes zusammen, rauchten und redeten, ungeachtet der Tatsache, dass die Männer über die seltsamen Zusammenkünfte bereits die Köpfe schüttelten.
    »Das war relativ einfach«, antwortete Gowers, der sich auch selbst schon fragte, warum er zu dem Deutschen so schnell ein so ungewöhnlich großes Vertrauen gefasst hatte: Es war wohl weniger die Deutlichkeit, mit der von Tempsky seinen Verfolgern entgegengetreten war, als die Schwere der Dinge, die auf seiner Seele lasteten.
    Die Ermittlung war tatsächlich relativ einfach gewesen. Nell hatte Sykes’ Namen genannt, und obwohl sie seine Dienste glücklicherweise noch nie in Anspruch genommen hatte, kannte Sarah, wie alle Huren Melbournes, den Aufenthaltsort des berüchtigten Engelmachers. Bereits am Tag nach Nells Hinrichtung suchte Gowers die Hafenbordelle auf.
    Umständlicher war die Suche nach Zeugen, die Sykes’ Verbindung mit James Fagan bestätigen konnten, denn natürlich
stritt der Mann alles ab. Gowers wollte ihn bereits in die Mangel nehmen, als er durch einen puren Zufall auf Helen traf, die sich an jenen Schmerzensmorgen

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