Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
marschierten praktisch drei Tage lang ununterbrochen, um Chhule herum, durch den Rhododendron- Wald, dessen Blüten alle abgefallen waren und nun auf dem Boden lagen, und das Hochtal hinauf, in dem nun das Monsun-Wasser mit lautem Getöse abfloß. Dann über den Gletscher und den Grat hinauf in den Schnee, über den Paß und hinab nach Shambhala.
    Wir hatten das heilige Tal kaum erreicht, da erzählte der Colonel schon allen von Georges Plan. Die Khampas waren allesamt begeistert, doch der Manjushri Rimpoche zeigte sich nicht so enthusiastisch. »Auf keinen Fall darf dabei jemand zu Schaden kommen. Das wäre ein so großes Unrecht, daß es alles Gute, was dabei herauskommen könnte, zunichte machen würde.«
    Colonel John hörte das nicht gern, doch er stimmte zu, wobei er genau wie Eddie Haskeil klang – »Natürlich nicht, heiliger Rimpoche, wir werden niemand töten. Wir werden nur Sachschäden anrichten.«
    »Wir wollen ihnen nur Angst einjagen«, erklärte ich.
    »Ja!« sagte Colonel John und machte sich meine Argumentation zu eigen. »Wir wollen ihnen nur Angst einjagen«, und schon sprudelten Pläne aus ihm hervor, wie man den Grenzposten auf beiden Seiten so schreckliche Angst einjagen konnte, daß ein paar Soldaten vielleicht vor Furcht starben, was sehr bedauerlich wäre, aber nicht direkt unsere Schuld. Nicht so direkt wie Kugeln zumindest.
    Mit der Organisation des Überfalls fiel er wieder völlig in seine Marine Corps-Angewohnheiten zurück, stellte zwei Einheiten auf, bildete sie aus, zeichnete Karten und Diagramme und schmiedete Schlachtpläne. Sein Plan sah vor, daß die beiden Einheiten ihre Angriffe auf die Grenzposten in Nepal und Tibet zeitlich so durchführen sollten, daß sie sich aus beiden Richtungen in den Nangpa La zurückziehen, sich dort vereinigen und entkommen würden, während die sie vielleicht verfolgenden Chinesen und Nepali aufeinandertreffen würden. Er hielt das für eine geniale Idee. Tag für Tag kam er mit einem neuen Einfall an, der den Plan noch wirksamer machen sollte. »Okay«, sagte er nach einem dieser Brainstorms, »wir überfallen Chhule in den Uniformen der chinesischen Armee, aber jeder fünfte Soldat wird eine dieser Dämonenmasken des Klosters tragen, wodurch die Nepali einen unterbewußten Schock bekommen. Bewußt werden sie denken, es wären die Chinesen, doch im Unterbewußtsein werden sie glauben, alle Dämonen von Yamantaka würden über sie herfallen.«
    George runzelte bei diesen Ideen immer nachdrücklich die Stirn. »Glauben Sie nicht, das wäre etwas übertrieben?« pflegte er dann zu fragen. »Ich meine, es ist ja wirklich wichtig, daß die Soldaten in Chhule glauben, die Chinesen würden sie überfallen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Dämonenmasken dazu beitragen werden.«
    »Natürlich werden sie das«, sagte Colonel John und tat den Einwand ab. »Wir spielen hier mit ihrem Unterbewußtsein. Psychologische Kriegsführung. Wissen Sie, ich habe nicht umsonst zehn Jahre bei der CIA verbracht. Überlassen Sie diesen Teil einfach mir.«
    »Wenn dort Gurkhas stationiert sind, wird es ihnen völlig gleichgültig sein, wie wir aussehen«, warnte George. »Sie werden das Feuer erwidern.«
    »Da oben sind keine Gurkhas!« schnappte Colonel John. »Da oben ist nur die Nepalesische Militärpolizei, die schlechteste Truppe auf Erden.« Und er erzählte George einfach nichts mehr von seinen Plänen.
    Schließlich war alles vorbereitet. Die beiden Gruppen, die die Überfälle durchführen sollten, sollten am selben Abend aufbrechen; die eine würde Colonel John nach Nepal, die andere Kunga Norbu nach Tibet führen. Der Manjushri Rimpoche hatte uns die Erlaubnis gegeben, einige der Tunnels von Shambhalas uraltem Tunnelsystem zu benutzen, damit wir das Tal unbemerkt verlassen konnten – allerdings nur den Grat hinauf, auf den Sattel des Nangpa La.
    Nun war der Nangpa La, wie ich schon sagte, der Paß der alten Salz- und Wollhändler zwischen Tibet und Nepal und damit genau der Paß, den die Chinesen oder Nepali nehmen würden, wenn sie die anderen Seite überfallen wollten. Nicht, daß die Nepali jemals so dumm sein würden, China anzugreifen, doch die Chinesen waren davon überzeugt, daß die Inder die Strecke benutzen und die Existenz Nepals einfach ignorieren würden. Also war er für unsere Zwecke perfekt geeignet – er paßte zu unserer Tarngeschichte, und nichts würde etwaige Verfolger ins Gebiet von Shambhala führen. Also konnten wir die Überfälle

Weitere Kostenlose Bücher