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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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niemand sonst interessiert. Das macht sie zu einem sehr wertvollen Studienobjekt, wenngleich man ihnen bislang noch keine große Beachtung geschenkt hatte – was Sarah nun zu ändern hoffte.
    Als der Honigsauger, schnell und gelb, außer Sicht geflogen war, rührte sich Sarah endlich – atmete tief ein, beugte sich zu mir und umarmte mich. Küßte mich auf die Wange. »Danke, daß du mich hierher geführt hast, Nathan.«
    Es war mir unangenehm. Der Freund, Du weißt schon – und Sarah war ein viel feinerer Mensch als er … Und außerdem fiel mir ein, daß sie damals, als wir uns dieses Büro geteilt hatten, eines Abends ganz aufgelöst hereingestürzt gekommen war, weil der damalige Freund ihr gestanden hatte, eine andere zu haben, und eins führte zum anderen, und … na ja, ich will nicht darüber sprechen. Aber wir waren gute Freunde gewesen. Und ich erinnerte mich noch gut daran. Also war es für mich nicht nur ein Küßchen auf die Wange, wenn Du weißt, was ich meine. Außerdem bin ich bestimmt ganz unbeholfen und umständlich geworden, wie es so meine Art ist.
    Auf jeden Fall freuten wir uns ziemlich über unsere Entdeckung, und danach kehrten wir eine Woche lang täglich zur Honigklippe zurück. Es war wirklich nett. Dann wollte Sarah einige Studien fortsetzen, die sie über die Goraks begonnen hatte, und so marschierte ich ein paar Mal allein zur Honigklippe hinauf.
    An einem dieser Tage, als ich allein unterwegs war, passierte es. Der Honigsauger zeigte sich nicht, und ich wanderte den Bach hinauf, um zu sehen, ob ich dessen Quelle finden konnte. Wolken rollten vom unteren Tal heran, und es sah ganz danach aus, als würde es später regnen, doch dort oben, wo ich war, schien noch die Sonne. Ich fand den Ursprung des Baches – ein von einer Quelle gespeister Teich am Fuß eines Geröllhanges – und beobachtete, wie er sich in die Welt ergoß. Einer dieser stillen Augenblicke im Himalaja, in denen die Welt eine gewaltige Kapelle zu sein scheint.
    Dann erhaschte eine Bewegung auf der anderen Seite des Teiches meine Aufmerksamkeit, dort im Schatten zweier knorriger Eichen. Ich erstarrte, obwohl ich auf freier Fläche stand und jeder mich sehen konnte. Dort unter einer der Eichen, in dunklen Schatten im Sonnenlicht, beobachtete mich ein Augenpaar. Es befand sich etwa auf gleicher Höhe wie das meine. Ich befürchtete, es könne ein Bär sein, und unterzog im Geiste die Bäume hinter mir einer Überprüfung, ob man sie erklettern konnte, als sich die Augen erneut bewegten – sie blinzelten. Und dann sah ich, daß um die Iris das Weiße sichtbar war. Ein Dörfler auf Jagd? Wohl kaum. Mein Herz begann in meiner Brust zu hämmern, und ich mußte unwillkürlich schlucken. Da in den Schatten war doch ein Gesicht? Ein bärtiges Gesicht?
    Natürlich hatte ich eine Vorstellung, womit ich gerade einen Blick wechseln mußte. Der Yeti, der Bergmensch, das schwer faßbare Geschöpf des Schnees. Der scheußliche Schneemensch, um Gottes willen! Mein Herz hatte nie schneller geschlagen. Was sollte ich tun? Das Weiß seiner Augen … Paviane haben weiße Augenlider, die sie schließen, um zu drohen, und wenn man sie direkt ansieht, sehen sie das Weiße der Augen und glauben, man würde sie bedrohen; die entfernte Möglichkeit berücksichtigend, daß dieses Wesen ein ähnliches Verhaltensmuster hatte, senkte ich den Kopf und betrachtete es indirekt. Ich schwöre, es schien mein Nicken zu erwidern.
    Dann blinzelte ich erneut, nur, daß die Augen diesmal nicht darauf reagierten. Das bärtige Gesicht war verschwunden. Ich atmete wieder, lauschte so angestrengt ich konnte, hörte jedoch nichts bis auf das Murmeln des Baches.
    Nach zwei oder drei Minuten überquerte ich den Bach und sah mir den Boden unter der Eiche an. Er war moosbewachsen, und auf einigen Teilen des Mooses hatte etwas gestanden, das mindestens so schwer sein mußte wie ich; aber eindeutige Spuren fand ich natürlich nicht. Und auch nicht in einigem Umkreis um die Eiche.
    Ich marschierte benommen zum Lager zurück; ich nahm kaum etwas wahr und fuhr bei jedem Geräusch zusammen. Du kannst Dir vorstellen, wie ich mich fühlte … nach so einem Erlebnis!
    Und an demselben Abend, als ich versuchte, still meinen Eintopf zu essen und nichts von dem verlauten zu lassen, was geschehen war, richtete sich die Unterhaltung der Gruppe auf das Thema Yeti. Ich ließ fast die Gabel fallen. Es war wieder Adrakian – ihn ärgerte die Tatsache, daß er trotz der zahlreichen

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