Flucht aus Katmandu
Wie konnte ich sagen, daß er bis hin zu dem Punkt, wo er alles tun würde, um sich eine Reputation zu verschaffen, von dem gewaltigen Druck in diesem Beruf korrumpiert wurde, ohne dem Streitgespräch eine häßliche Wendung zu geben? Unmöglich. Und Sarah würde mit mir an den Pranger gestellt werden. Ich seufzte lediglich. »Was ist mit den Versuchsobjekten?«
»Man würde sie betäuben, studieren und in ihre angestammte Umgebung zurückbringen«, sagte Valerie ungehalten. »Und vielleicht eins in Gefangenschaft halten, wo es ein viel angenehmeres Leben führen würde als in der Wildnis.«
Völlig korrumpiert. Selbst die Botaniker schauten bei dieser Behauptung unbehaglich drein.
»Wir müssen uns wohl keine Sorgen machen«, sagte Armaat mit seinem verschlagenen Lächeln. »Dieses Tier ist angeblich nachtaktiv.« Weil Phil ja keine Anstalten gemacht hatte, sich des Nachts auf die Lauer zu legen, Du verstehst schon.
»Genau deshalb will ich im Hochtal einen Hochsitz errichten«, schappte Phil, der Armaats Nadelstiche allmählich überdrüssig war. »Nathan, du mußt mitkommen und mir dabei helfen.«
»Und den Weg suchen«, sagte ich. Die anderen stritten weiter, und Sarah ergriff meine Position oder erwies sich ihr gegenüber zumindest als einsichtig; ich zog mich zurück, besorgt um die Gestalt in den Schatten, die ich an diesem Tag gesehen hatte. Phil beobachtete mich argwöhnisch, als ich ging.
Also bekam Phil seinen Willen, und wir errichteten einen winzigen Hochsitz in dem oberen Tal westlich von dem, in dem ich den Yeti entdeckt hatte. Wir verbrachten mehrere Nächte oben auf einer alten Eiche und beobachteten jede Menge geflecktes Rotwild und in der Dämmerung ein paar Affen. Phil hätte zufrieden sein können, wurde jedoch immer verdrossener. Aus einigen seiner Äußerungen war mir ersichtlich geworden, daß er die ganze Zeit über gehofft hatte, den Yeti zu finden; er erflehte diese große Entdeckung geradezu.
Und eines Nachts geschah es. Der Mond war auf beiden Seiten konvex, und die dünnen Wolken ließen den größten Teil seines Lichts durch. Etwa zwei Stunden vor der Morgendämmerung war ich leicht eingenickt, und Adrakian stieß mich mit dem Ellbogen an. Wortlos deutete er auf das hintere Ufer eines kleinen Teiches im Bach.
Sich bewegende Schatten im Schatten. Ein Schimmer Mondlicht auf dem Wasser – dann eine aufrecht stehende Gestalt. Einen Augenblick lang sah ich deutlich den Kopf, einen großen, seltsam geformten Schädel. Er wirkte fast menschlich.
Ich wollte eine Warnung rufen; statt dessen verlagerte ich mein Gewicht auf der Plattform. Sie knarrte ganz leise, und augenblicklich war die Gestalt verschwunden.
»Du Idiot!« flüsterte Phil. Im Mondlicht sah er aus, als könne er einen Mord begehen. »Ich folge ihm!« Er sprang aus dem Baum und zog einen Gegenstand, den ich für eine Betäubungspistole hielt, aus seiner Jackentasche.
»Im Dunkeln wirst du da draußen nichts finden!« flüsterte ich, doch er war schon fort. Ich kletterte hinab und folgte ihm – über meine Absicht war ich mir selbst nicht ganz im klaren.
Na ja, Du kennst ja den nächtlichen Wald. Keine Chance, Tiere zu sehen oder auch nur schnell vorwärts zu kommen. Eins muß ich Adrakian zugestehen – er war schnell und leise. Ich verlor ihn fast augenblicklich, und danach hörte ich nur noch gelegentlich das Knacken eines Zweiges in der Ferne. Über eine Stunde verstrich, und ich wanderte ziellos umher. Als ich zum Bach zurückkehrte, war der Mond untergegangen, und am Himmel dämmerte es schon.
Ich ging um einen großen Flußstein am Ufer herum und wäre fast direkt in einen Yeti gelaufen, der von der anderen Seite kam, als schritten wir auf einem belebten Bürgersteig aus und wären beide in dieselbe Richtung gegangen, um uns auszuweichen. Er war etwas kleiner als ich; dunkles Fell bedeckte seinen Körper und Kopf, ließ jedoch das Gesicht frei – ein Fleck rosa Haut, der im schwachen Licht ziemlich menschlich wirkte. Seine Nase war sowohl die eines Menschen als auch die eines Primaten – breit, aber aus dem Gesicht hervorstehend – und wirkte wie eine Erweiterung des Hinterhauptwulstes, der seinen Schädel von einer Schläfe zur anderen umzog. Sein Mund war breit, und sein Kinn unter einem krausen Bart noch breiter, aber nichts davon lag außerhalb der Parameter, die für eine menschliche Erscheinung zutreffen. Er hatte dicke wulstige Brauen hoch über den Augen, so daß sein Blick von permanenter
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