Flucht Der Sklaven
Shalon runzelte die Stirn; es sah ihrer Schwester nicht ähnlich, so durcheinander zu klingen. Harine holte tief Luft und sprach dann in energischerem Tonfall weiter, obwohl es sich in gewisser Weise genauso seltsam wie zuvor anhörte. »Ich spreche für die Herrin der Schiffe des Atha'an Miere und verlange den mir zustehenden Respekt! Ich verlange ihn, habt Ihr das verstanden? Ja, ist das klar?«
»Ich kann sie bitten, jemand anderen zu bestimmen«, sagte Sarene zweifelnd, als würde sie nicht erwarten, dass ihre Bitte etwas ändern würde. »Ehr müsst wissen, dass sie mir an jenem Tag ganz genaue Anweisungen gegeben hat. Aber ich hätte nicht meine Beherrschung verlieren sollen. Da habe ich versagt. Gefühle zerstören jegliche Vernunft.«
»Ich weiß, wie man Befehle befolgen muss«, knurrte Harine und duckte sich im Sattel zusammen. Sie sah aus, als wäre sie bereit, sich jeden Augenblick auf Sarene zu stürzen. »Ich heiße es gut, wenn Befehle befolgt werden!«, kreischte sie beinahe. »Allerdings kann man Befehle, die ausgeführt worden sind, auch wieder vergessen. Man muss sie nicht mehr erwähnen. Versteht Ihr mich?« Shalon starrte sie von der Seite an. Wovon sprach sie da? Welche Befehle hatte Sarene ausgeführt und warum wollte Harine, dass sie in Vergessenheit gerieten? Moad machte keine Anstrengungen, sein Stirnrunzeln zu verbergen. Dann wurde sich Harine seiner Aufmerksamkeit bewusst und ihre Miene verfinsterte sich.
Sarene schien es nicht zu bemerken. »Ich weiß nicht, wie man absichtlich etwas vergessen soll«, sagte sie langsam und legte die Stirn in Falten. »Ich nehme an, Ihr meint, dass wir so tun sollten. Ist das richtig?« Die mit Perlen geschmückten Zöpfe, die aus ihrer Kapuze baumelten, stießen klirrend zusammen, als sie den Kopf über diese Dummheit schüttelte. »Also gut. Ich werde Eure Fragen so gut beantworten, wie ich kann. Was wollt Ihr wissen?« Harine seufzte lauthals. Shalon hätte es für Ungeduld halten können, aber sie glaubte, es war Erleichterung. Erleichterung?
Ob Harine nun erleichtert war oder nicht, sie wurde wieder sie selbst, von Selbstbeherrschung erfüllt und befehlsgewohnt, und sie versuchte den Blick der Aes Sedai zu erwidern, als wollte sie diese dazu zu bringen, dass sie ihren senkte. »Ihr könnt mir sagen, wo wir sind und wo wir hinreisen«, verlangte sie zu wissen.
»Wir sind in den Hügeln von Kintara«, sagte Cadsuane, die plötzlich vor ihnen erschien; ihr Pferd stieg auf die Hinterbeine, ließ die Hufe durch die Luft wirbeln und versprühte Schnee. »Und wir reiten nach Far Madding.« Sie hielt sich nicht nur im Sattel, sie schien das Aufbäumen des Tieres nicht mal zu bemerken!
»Ist der Coramoor in Far Madding?«
»Angeblich soll Geduld eine Tugend sein, Herrin der Wogen.« Obwohl Cadsuane den Titel benutzte, der Harine zustand, lag kein Respekt in ihrem Benehmen. Nicht der geringste. »Ihr reitet mit mir. Versucht nicht, zurückzufallen. Es wäre unerfreulich, wenn ich Euch wie Kornsäcke transportieren müsste. Sobald wir in der Stadt sind, werdet Ihr schweigen, bis ich Euch zu sprechen erlaube. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr durch Unwissenheit Probleme schafft. Ihr werdet Sarene Euch führen lassen. Sie hat Ihre Befehle.«
Shalon erwartete einen Wutausbruch, aber Harine beherrschte sich, obwohl es sie offensichtlich viel Mühe kostete. Sobald sich Cadsuane abgewandt hatte, murmelte sie wütend vor sich hin, biss aber die Zähne zusammen, als sich Sarenes Pferd in Bewegung setzte. Offensichtlich sollte keine Aes Sedai hören, was sie zu sagen hatte.
Wie sich herausstellte, bedeutete mit Cadsuane zu reiten, hinter ihr herzureiten, und zwar zwischen den Bäumen vorbei nach Süden. Alanna und Verin ritten zwar neben der Frau, aber als Harine den Versuch unternahm, sich zu ihnen zu gesellen, machte ein Blick von ihr klar, dass sonst niemand willkommen war. Shalon erwartete eine Explosion, die nicht kam. Stattdessen bedachte Harine aus irgendeinem Grund Sarene mit einen finsteren Blick und riss ihr Pferd herum, um zwischen Moad und Shalon zu reiten. Sie unternahm keine Anstrengung, Sarene, die auf Shalons anderer Seite ritt, noch irgendwelche Fragen zu stellen, sondern beschränkte sich darauf, die vor ihr befindlichen Frauen finster anzuschauen. Hätte Shalon sie nicht besser gekannt, hätte sie gesagt, dass in diesen Blicken eher Trotz als Wut lag.
Shalon wiederum war heilfroh, schweigen zu können. Ein Pferd zu reiten war schon schwierig
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