Flucht Der Sklaven
bleiben lassen, ohne Toh zu verschulden, Elayne«, sagte Aviendha mit finsterer Miene. Sie trug noch immer ihre Aiel-Kleidung mit der Silberkette und dem schweren Elfenbeinarmband. Ihr stämmiger Brauner war eine Handspanne kleiner als Feuerherz oder Birgittes schlanker Grauer Pfeil und auch viel einfacher zu führen, obwohl sie viel entspannter ritt als früher. Der Sattel sorgte dafür, dass ihre schwarzbestrumpften Beine oberhalb der Knie entblößt waren, aber wenn man von dem um ihren Kopf gewundenen Schultertuch absah, erweckte sie den Eindruck, als sei ihr warm. Im Gegensatz zu Birgitte hatte sie nicht mit ihren Bemühungen aufgehört, Elayne von ihrem Vorhaben abzubringen. »Überraschungen sind ja schön und gut, aber sie werden dich mehr respektieren, wenn sie dir auf halbem Wege entgegenkommen müssen.«
»Ich kann Merilille wohl kaum im Stich lassen«, sagte Elayne geduldiger, als ihr zumute war. Sie fühlte sich zwar nicht länger müde, aber sie fühlte sich auch nicht unbedingt frisch und verspürte nicht die geringste Lust auf eine Diskussion. Aber sie wollte Aviendha nicht anfauchen. »Sie könnte sich wie eine Närrin vorkommen, wenn sie da mit einem Brief steht, der meine Ankunft ankündigt, und ich komme dann gar nicht. Und schlimmer, ich würde mir wie eine Närrin vorkommen.«
»Besser sich wie eine Närrin vorzukommen als eine zu sein«, murmelte Birgitte kaum hörbar. Ihr dunkler Umhang breitete sich hinter ihrem Sattel aus und der kompliziert geflochtene Zopf hing aus der Kapuzenöffnung bis beinahe zur Taille. Diese Kapuze bis zu den Seiten ihres Gesichts hochzuziehen war ihr Zugeständnis an die Kälte und den böigen Wind gewesen, der manchmal frisch gefallenen Schnee wie Federn hochstieben ließ. Sie wollte vermeiden, dass ihre Sicht behindert wurde. Der Verschluss ihres Bogenköchers, der eigentlich die Sehne trocken halten sollte, hing herab, damit sie schnell an den Bogen herankommen konnte. Den Vorschlag, ein Schwert zu tragen, hatte sie mit der gleichen Empörung zurückgewiesen, wie es der Fall gewesen wäre, hätte Elayne Aviendha gebeten, eines zu tragen. Mit dem Bogen kannte sich Birgitte aus, hingegen behauptete sie, nur sich selbst zu verletzen, wenn sie ein Schwert ziehen würde. Zu einer anderen Jahreszeit wäre ihr kurzer grüner Mantel mit dem Wald verschmolzen und ihre locker fallenden Hosen hatten wie durch ein Wunder dieselbe Farbe. Sie war jetzt eine Behüterin, nicht der Generalhauptmann der Königlichen Garde, trotzdem war sie nicht so erfreut über diese Bezeichnung, wie man vielleicht erwartet hätte. Der Bund übermittelte genauso viel Unbehagen wie Aufmerksamkeit.
Elayne seufzte und ihr Atem verwandelte sich in Nebel. »Ihr beiden wisst genau, was ich hier zu erreichen hoffe. Ihr wisst es, seit ich die Entscheidung getroffen habe. Warum behandelt ihr mich plötzlich, als wäre ich aus Glas?«
Die beiden Frauen tauschten an ihr vorbei einen Blick aus, jede wartete darauf, dass die andere den Anfang machte, dann wandten sie die Köpfe und schauten starr geradeaus. Plötzlich wusste Elayne Bescheid.
»Wenn mein Kind geboren ist«, sagte sie trocken, »könnt ihr euch beide als ihre Amme bewerben.« Falls das Kind eine »sie« werden würde. Falls Min das gesagt hatte, war es Aviendhas und Birgittes weingeschwängerten Erinnerungen an diese Nacht entfallen. Möglicherweise würde es besser sein, zuerst einen Sohn zu bekommen, damit sie mit seiner Erziehung beginnen konnte, bevor seine Schwester kam. Doch eine Tochter sicherte die Thronfolge, während ein einzelner Sohn zur Seite geschoben werden würde, und so sehr sie sich auch mehr als nur ein Kind wünschte, es stand nirgendwo geschrieben, dass das geschehen würde. Mochte das Licht dafür sorgen, dass sie von Rand noch mehr Kinder bekam, aber sie musste praktisch denken. »Ich selbst brauche keine Amme mehr.«
Aviendhas von der Sonne verbrannte Wangen wurden vor Verlegenheit noch dunkler. Birgittes Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber durch den Behüterbund kam die gleiche Empfindung.
Sie ritten langsam und folgten Merililles Spuren fast zwei Stunden lang. Elayne kam gerade zu dem Schluss, dass das erste Lager ganz in der Nähe sein musste, als Birgitte plötzlich den Arm hob und sagte: »Schienarer.« Sie lockerte den Bogen in seinem Köcher. Aufmerksamkeit verschluckte die Verärgerung und alle andere Gefühle in dem Bund. Aviendha berührte den Griff ihres Gürtelmessers, als wollte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher