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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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hellte sich nun auf.
    »Ja, ach, natürlich. Wie schön, dass Sie vorbeischauen. Wollen Sie nicht hereinkommen?«
    Sie trug einen rosafarbenen, gesteppten Hausmantel und die dazu passenden Slipper. Als ich ihr in das Wohnzimmer folgte, schaltete sie den Fernseher aus und nahm eine Decke vom Sofa, auf dem sie offensichtlich gerade etwas Früchtebrot und Saft zu sich genommen und sich dabei die Abendnachrichten angesehen hatte.
    »Bitte entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich habe Sie beim Abendessen gestört.«
    »Aber nein. Ich habe nur etwas geknabbert. Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«, fragte sie hastig.
    Ich lehnte dankend ab und setzte mich, während sie herumlief und aufräumte. Mich überkamen auf einmal herzzerreißende Erinnerungen an meine eigene Großmutter, deren Humor ungebrochen war, selbst als sie den Verfall ihres eigenen Körpers mit ansehen musste. Ich werde nie vergessen, wie sie uns in dem Sommer vor ihrem Tod in Miami besucht hatte und ich mit ihr zum Einkaufen gegangen war. Wir standen mitten bei Woolworth, als an ihrer »Windel«, die sie sich aus einer Männerunterhose und Damenbinden gebastelt hatte, eine Sicherheitsnadel aufging und die »Windel« ihr bis zu den Knien hinunterrutschte. Sie raffte schnell alles zusammen, und wir eilten zur nächsten Damentoilette, wobei wir beide so sehr lachen mussten, dass ich selbst fast die Kontrolle über meine Blase verloren hätte.
    »Der Wetterbericht sagt, dass es heute Nacht vielleicht schneien wird«, bemerkte Mrs. McTigue, als sie sich hinsetzte.
    »Es ist sehr feucht draußen«, antwortete ich zerstreut. »Und es ist kalt genug für Schnee.«
    »Ich glaube nicht, dass er liegen bleiben wird.«
    »Ich fahre nicht gern im Schnee«, bemerkte ich, während mein Verstand an schweren, unangenehmen Dingen arbeitete.
    »Vielleicht bekommen wir dieses Jahr weiße Weihnachten. Wäre das nicht etwas Besonderes?«
    »Ja, das wäre wirklich etwas Besonderes.« Ich hielt vergeblich nach irgendeinem Anzeichen Ausschau, dass sich eine Schreibmaschine in dem Apartment befand.
    »Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal weiße Weihnachten hatten.«
    Mit ihrer hektischen Unterhaltung versuchte sie, ihre innere Unruhe zu überdecken. Sie wusste, dass ich aus einem bestimmten Grund gekommen war, und ahnte, dass ich keine guten Neuigkeiten brachte.
    »Sind Sie sicher, dass ich Ihnen nichts zu trinken bringen soll? Ein Glas Portwein vielleicht?«
    »Nein, vielen Dank«, sagte ich.
    Stille.
    »Mrs. McTigue«, begann ich. Ihre Augen waren so verletzlich und unsicher wie die eines Kindes. »Könnten Sie mir vielleicht das Foto noch einmal zeigen? Jenes, das Sie mir gezeigt haben, als ich das letzte Mal bei Ihnen war.«
    Sie blinzelte ein paarmal. Ihr lächeln war dünn und bleich wie eine Narbe.
    »Das Foto von Beryl Madison«, fügte ich hinzu.
    »Aber sicher, warum nicht?«, antwortete sie und stand langsam auf. Sie schien resigniert, als sie zum Sekretär ging, um es zu holen. Sie gab mir das Foto, und ich sah Furcht oder vielleicht auch nur Verwirrung in ihrem Gesicht.
    Ich bat sie, mir auch den Umschlag und das leicht getönte Papier zu geben, in dem das Foto gelegen hatte.
    Ich wusste sofort, als ich das Blatt in der Hand fühlte, dass es sich um Hadernpapier handelte, und als ich es gegen das licht hielt, sah ich das Crane-Wasserzeichen durchschimmern. Ich blickte flüchtig auf das Foto, und nun machte Mrs. McTigue einen völlig verwirrten Eindruck.
    »Es tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Ich weiß, dass Sie sich fragen, was um alles in der Welt ich da mache.«
    Sie war sprachlos.
    »Mir ist etwas aufgefallen. Das Foto sieht viel älter aus als das Papier.«
    »Das stimmt«, bestätigte sie und wandte ihre angsterfüllten Augen nicht von mir ab. »Ich habe das Foto in Joes Papieren gefunden und zur Aufbewahrung in den Umschlag gesteckt.«
    »Ist das Ihr Briefpapier?«, erkundigte ich mich.
    »O nein.« Sie griff nach ihrem Port und nahm vorsichtig einen Schluck. »Es gehörte meinem Mann, aber ich habe es für ihn ausgesucht. Es war ein sehr schön gedrucktes Geschäftspapier, müssen Sie wissen. Nach seinem Dahinscheiden habe ich die nichtbedruckten Blätter und die Briefumschläge aufgehoben. Ich besitze mehr davon, als ich jemals verbrauchen könnte.«
    Es gab nur den einen Weg. Ich musste sie direkt fragen. »Mrs. McTigue, besaß Ihr Mann eine Schreibmaschine?«
    »Ja, wieso? Ich habe sie meiner Tochter gegeben. Sie wohnt in Falls

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