Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
Church. Ich schreibe meine Briefe immer mit der Hand. Jetzt allerdings nicht mehr so viele, wegen meiner Arthritis.« »Was war das für eine Schreibmaschine?«
»Ach, du liebe Güte. Ich erinnere mich nicht mehr daran, außer dass sie elektrisch war und ziemlich neu«, stammelte sie. »Joe gab seine Schreibmaschine alle paar Jahre gegen eine neue in Zahlung. Wissen Sie, sogar als diese Computer kamen, bestand er darauf, seine Korrespondenz weiterhin so zu erledigen, wie er es immer getan hatte. Burt – das war sein Büroleiter – drängte Joe jahrelang, doch den Computer zu benutzen, aber Joe musste immer seine Schreibmaschine haben.«
»Zu Hause oder im Büro?«
»Beides. Er blieb oft lange auf und arbeitete zu Hause an seinem Schreibtisch.«
»Hat er mit den Harpers korrespondiert, Mrs. McTigue?«
Sie hatte ein Papiertaschentuch aus der Tasche ihres Hausmantels geholt und drehte es zwischen ihren Fingern.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Fragen stelle«, beharrte ich sanft.
Sie starrte auf ihre knorrigen, dünnhäutigen Hände und sagte nichts.
»Bitte«, drängte ich ruhig. »Wenn es nicht wichtig wäre, würde ich Sie nicht fragen.«
»Es geht um sie, oder?« Das Papiertaschentuch war zerrissen, und sie sah immer noch nicht auf.
»Sterling Harper.«
»Ja.«
»Bitte, Mrs. McTigue, sagen Sie es mir.«
»Sie war sehr schön. Und so graziös. Eine sehr feine Dame«, erwiderte Mrs. McTigue.
»Hat Ihr Mann mit Miss Harper korrespondiert?«
»Ich bin mir ziemlich sicher.«
»Warum glauben Sie das?«, fragte ich.
»Ich überraschte ihn ein- oder zweimal dabei, wie er einen Brief schrieb. Er behauptete immer, es handele sich um etwas Geschäftliches.«
Ich sagte nichts.
»Ja, mein Joe.« Sie lächelte, aber ihre Augen waren tot. »Was für ein Frauenheld. Wissen Sie, er küsste den Damen immer die Hand, und sie fühlten sich dabei wie Königinnen.«
»Hat Miss Harper ihm auch geschrieben?«, fragte ich zögernd, denn ich wollte die alte Wunde nicht noch weiter aufreißen. »Nicht dass ich wüsste.«
»Er schrieb ihr, aber sie beantwortete seine Briefe nie?«
»Joe war ein Mann des Wortes. Er sagte immer, dass er eines Tages ein Buch schreiben werde. Und immer hat er irgendetwas gelesen.«
»Jetzt verstehe ich, warum ihm Cary Harper so gefiel«, bemerkte ich.
»Mr. Harper telefonierte oft mit meinem Mann, besonders, wenn es ihm schlechtging. Ich glaube, man nennt so etwas eine Schreibblockade. Er rief dann Joe an, und die beiden sprachen über eine Menge interessanter Dinge. Literatur und was weiß ich noch alles.« Das Papiertaschentuch bestand nur noch aus kleinen Stückchen zerfetzten Papiers in ihrem Schoß. »Joes Lieblingsschriftsteller war Faulkner, hätten Sie das erraten? Er mochte auch Hemingway und Dostojewski. Als er mir den Hof machte, lebte ich in Arlington und er hier. Er schrieb mir die schönsten Briefe, die Sie sich vorstellen können.«
Briefe, wie er sie auch seiner späteren Geliebten geschrieben hatte, dachte ich. Briefe, wie er sie der umwerfenden, unverheirateten Sterling Harper geschrieben hatte, die sie gütigerweise vor ihrem Tod verbrannte, weil sie nicht das Herz und auch nicht die Erinnerungen seiner Witwe vergiften wollte.
»Sie haben sie also gefunden«, sagte sie nur.
»Die Briefe an sie?«
»Ja. Seine Briefe.«
»Nein.« Es war vielleicht die gnädigste Halbwahrheit, die ich je geäußert hatte. »Nein, ich kann nicht behaupten, dass wir irgendetwas in dieser Art gefunden haben. Die Polizei hat keine Briefe Ihres Mannes in der persönlichen Hinterlassenschaft der Harpers gefunden, weder mit dem Geschäftsbriefkopf Ihres Mannes noch irgendetwas intimerer Natur, das Sterling Harper gegolten haben könnte.«
Ihr Gesicht entspannte sich, als ich meine abschlägige Antwort vertiefte.
»Haben Sie selbst eigentlich die Harpers kennengelernt? Bei einer Einladung zum Beispiel?«, fragte ich.
»Aber ja. Zweimal, wenn ich mich richtig erinnere. Einmal kam Mr. Harper zu einer Dinnerparty. Und bei einer anderen Gelegenheit haben die Harpers und Beryl Madison bei uns übernachtet.«
Das stachelte meine Neugier an. »Wann haben sie bei Ihnen übernachtet?«
»Ein paar Monate bevor Joe starb. Ich glaube, es muss wohl so um Neujahr herum gewesen sein, einen Monat oder zwei nachdem Beryl vor unserer Gruppe gesprochen hatte. Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, denn wir hatten noch den Christbaum im Haus. Daran erinnere ich mich. Dass sie da war, bedeutete
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