Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
Nebenrollen in Filmen. Er war in Kalifornien und lebt jetzt in New York.«
»Nein«, sagte ich verblüfft.
Ethridge setzte seine Kaffeetasse ab und sah mich mit ruhigen Augen an.
»Woher wusste er, dass wir heute Morgen hier frühstücken würden, Tom?«, fragte ich und konnte nur mit Mühe meine Stimme ruhig halten, als ich mich plötzlich wieder erinnerte. Gallagher’s. Der junge Mann, der ein paar Tische von Mark und mir entfernt allein sein Bier getrunken hatte.
»Ich weiß nicht, woher er es wusste«, antwortete Ethridge, in seinen Augen leuchtete stille Zufriedenheit. »Lassen Sie mich nur so viel sagen, dass es mich nicht erstaunt, Kay. Der junge Partin beschattet mich schon seit tagen.«
»Er ist nicht Ihr Informant im Justizministerium ...«
»Großer Gott, nein«, erwiderte Ethridge trocken.
»Sparacino?«
»Das glaube ich auch. Das ergäbe auch den meisten Sinn, meinen Sie nicht, Kay?«
»Wieso?«
Er studierte die Rechnung und erklärte dann: »Um sich auf dem Laufenden zu halten. Um zu spionieren. Oder um einzuschüchtern.« Er blickte zu mir auf. »Suchen Sie sich etwas aus.«
Scott Partin war mir wie einer von diesen jungen Männern vorgekommen, die sich selbst genügen und einen schwermütigen Glanz ausstrahlen. Ich erinnerte mich daran, dass er die New York Times gelesen und trübsinnig ein Bier getrunken hatte. Ich hatte ihn nur deshalb am Rande wahrgenommen, weil extrem schöne Menschen, ähnlich wie phantastische Blumenarrangements, nur schwer zu übersehen sind.
Ich verspürte den Drang, Marino alles darüber zu berichten, als wir später am Tag im Aufzug meines Büros in den ersten Stock fuhren.
»Ich bin sicher«, wiederholte ich, »dass er bei Gallagher’s zwei Tische entfernt von uns gesessen hat.«
»Und er war ohne Begleitung?«
»Richtig. Er hat gelesen und ein Bier getrunken. Ich glaube nicht, dass er etwas gegessen hat, aber so genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern«, antwortete ich, als wir durch einen großen Lagerraum gingen, der nach Pappe und Staub roch.
Mein Herz und mein Hirn rotierten, während ich versuchte, wieder einer von Marks Lügen auf den Grund zu gehen. Mark hatte behauptet, dass Sparacino von meiner Reise nach New York nichts gewusst habe und dass er nur aus Zufall in dem Steakhaus aufgetaucht sei. Das konnte nicht stimmen. Der junge Partin hatte an diesem Abend den Auftrag gehabt, mir nachzuspionieren, und das war nur möglich, wenn Sparacino gewusst hatte, dass ich mit Mark dorthin gehen würde.
»Nun, man kann die Sache auch anders sehen«, meinte Marino,als wir durch die staubigen Eingeweide des Gebäudes gingen. »Sagen wir, Partin hält sich in New York unter anderem damit über Wasser, dass er ab und zu für Sparacino herumschnüffelt, okay? Es könnte sein, dass Partin von Sparacino Mark hinterhergeschickt wurde und nicht Ihnen. Denken Sie dran, dass Sparacino es war, der Mark das Steakhaus empfahl, oder wenigstens hat Mark Ihnen das erzählt. Also hatte Sparacino allen Grund zu der Annahme, dass Mark an diesem Abend dort essen würde. Sparacino beordert Partin hin, um herauszufinden, was Mark dort tut. Partin geht in das Lokal, sitzt allein da und trinkt sein Bier, bis Sie beide hereinkommen. Vielleicht ist er kurz aufgestanden und hat Sparacino angerufen, um ihm seine Entdeckung mitzuteilen. Bingo! Bald darauf spaziert Sparacino zur Tür herein.«
Ich hätte das gern geglaubt.
»Es ist nur eine Theorie«, fügte Marino hinzu.
Ich wusste, dass ich es nicht glauben konnte. Die Wahrheit, erinnerte ich mich brutal, war, dass Mark mich betrogen hatte, dass er genau der Kriminelle war, als den Ethridge ihn geschildert hatte.
»Sie müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen«, schloss Marino.
»Natürlich«, murmelte ich.
Wir gingen einen weiteren Gang entlang und blieben vor einer schweren Metalltür stehen. Nachdem ich den richtigen Schlüssel gefunden hatte, betraten wir den Schießstand, auf dem unsere Sachverständigen für Schusswaffen schon mit so gut wie jeder der Menschheit bekannten Waffe Testschüsse abgegeben haben. Es war ein trister, bleiverseuchter Raum mit Wänden aus Betonziegeln. Eine Lochplatte, an der unzählige Revolver, Pistolen und Maschinenpistolen hingen, die die Gerichte eingezogen und schließlich dem Labor zur Verfügung gestellt hatten, nahm eine ganze Wand ein. In Regalen an der anderen Wand standen aneinandergereiht Schrotflinten und Gewehre. Die hintere Wand schließlich war in der Mitte
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