Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
einem Spazierstock in der Hand saß steif auf einem Sofa in der Ecke, seine Augen starrten unter dem Rand einer englischen Tweedkappe ins Leere. Eine altersschwache Frau schleppte sich am Arm eines Pflegers durch die Halle.
    Der junge Mann, der gelangweilt hinter der Topfpflanze auf dem Empfangstisch hervorsah, schenkte mir keinerlei Beachtung, als ich zum Aufzug ging. Die Türen öffneten sich und brauchten eine Ewigkeit, bis sie sich wieder schlossen, wie es überall dort üblich ist, wo Leute wohnen, die sich nur langsam fortbewegen können. Allein fuhr ich drei Stockwerke hinauf und starrte geistesabwesend auf die Anschläge, die mit Klebeband an den hölzernen Innenwänden befestigt waren. Sie luden zu Ausflügen zu den Museen und Herrenhäusern der Umgebung ein, machten auf Bridge-Clubs, Kunst- und Handwerkskurse aufmerksam und riefen zu einer Wollsachensammlung für das Jüdische Gemeindezentrum auf. Viele der Anschläge waren veraltet. Seniorenheime mit Namen wie Sunnyland, Sheltering Pines oder eben Chamberlayne Gardens, die allesamt an Friedhöfe erinnerten, wecktenimmer ein ungutes Gefühl in mir. Ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn meine Mutter nicht mehr für sich sorgen könnte. Bei meinem letzten Anruf hatte sie etwas von einem künstlichen Hüftgelenk gesagt.
    Mrs. McTigues Apartment lag etwa in der Mitte des linken Gangs. Ich klopfte, und eine runzelige Frau mit spärlichem, in kleine Locken gedrehtem Haar, das vergilbt aussah wie altes Papier, öffnete mir prompt. Ihr Gesicht war mit Rouge betupft, und sie hatte sich in einen viel zu großen weißen Strickpullover gehüllt. Der Duft von Rosenwasser und der Geruch von etwas mit Käse Überbackenem zogen in meine Nase.
    »Ich bin Kay Scarpetta«, stellte ich mich vor.
    »Wie nett, dass Sie gekommen sind«, erwiderte sie und gab mir einen leichten Klaps auf meine hingehaltene Hand. »Wollen Sie Tee oder etwas Stärkeres? Ich habe alles, was Sie wollen. Ich trinke Portwein.«
    Währenddessen hatte sie mich in ihr kleines Wohnzimmer geführt und mir einen Lehnsessel angeboten. Sie schaltete den Fernseher aus und knipste eine weitere Lampe an. Das Wohnzimmer war in etwa so überwältigend wie das Bühnenbild von Aida . Jedes Fleckchen auf dem verblichenen Perserteppich war mit schweren Mahagonimöbeln vollgestellt. Stühle, Beistelltische und ein Tisch mit Kuriositäten standen vor überquellenden Bücher- und Eckschränken, die mit feinem Porzellan und langstieligen Gläsern vollgestopft waren. An den Wänden hingen dunkle Gemälde, Klingelschnüre und mit Bleistift abgepauste Bilder von Messinggrabplatten eng nebeneinander.
    Sie kam mit einem kleinen Silbertablett zurück, auf dem, neben einem kleinen Teller mit selbstgebackenen Käsebiskuits, eine Karaffe voll Portwein und zwei der langstieligen Gläser standen. Sie schenkte ein und reichte mir den Teller und eine alte, aber frisch gebügelte Leinenserviette mit Spitzenborte. Das Ganze stellte ein Ritual dar und dauerte ziemlich lange. Schließlich setzte sie sich auf das verschlissene Ende eines Sofas, wo sie vermutlich den Großteil des Tages mit Lesen und Fernsehen verbrachte. Sie genosses offensichtlich, Gesellschaft zu haben, auch wenn der Anlass dazu nicht erfreulich war. Ich fragte mich, ob sie wohl jemals Besuch bekam, und wenn, von wem.
    »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, untersuche ich als Chief Medical Examiner den Tod von Beryl Madison«, bemerkte ich. »Bisher wissen wir noch viel zu wenig über sie und die Leute, die sie gekannt haben.«
    Mrs. McTigue trank mit ausdruckslosem Gesicht ihren Portwein. Ich hatte mich durch meinen ständigen Umgang mit Polizei und Rechtsanwälten schon so daran gewöhnt, sofort zur Sache zu kommen, dass ich bisweilen vergaß, dass man dem Rest der Menschheit manchmal Honig ums Maul schmieren musste. Das Biskuit war butterzart und wirklich gut. Ich sagte ihr das.
    »Oh, vielen Dank.« Sie lächelte. »Nehmen Sie doch noch eines, ich habe noch mehr draußen.«
    »Mrs. McTigue«, versuchte ich es noch mal, »haben Sie Beryl Madison gekannt, bevor Sie sie im letzten Herbst einluden, vor Ihrer Vereinigung zu sprechen?«
    »Aber ja«, antwortete sie. »Zumindest indirekt, denn ich war schon seit Jahren ein Fan von ihr und ihren Büchern. Historische Romane lese ich nämlich am liebsten.«
    »Woher wussten Sie, dass sie diese Bücher geschrieben hatte«, fragte ich, »wo Beryl sie doch unter Pseudonymen veröffentlichte? Ihr richtiger Name ist nie auf einem

Weitere Kostenlose Bücher