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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Beryl:
     
    AUTORENVORTRAG
     
    Die Romanautorin Beryl Stratton Madison wird am Mittwoch im Jefferson Hotel, Main und Adams Street, vor den Daughters of the American Revolution einen Vortrag halten. Miss Madison, eine Schülerin des Pulitzerpreisgewinners Cary Harper, wurde durch ihre historischen Romane über die Amerikanische Revolution und den Bürgerkrieg bekannt. Sie spricht zum Thema »Die Legende als Vehikel historischer Wahrheit«.
     
    Ich notierte ein paar Stichpunkte und suchte mir dann aus den Regalen einige von Beryls Büchern heraus, um sie mir anzusehen. Als ich wieder im Büro war, erledigte ich eine Menge Schreibarbeit, doch meine Aufmerksamkeit wanderte ständig hinüber zum Telefon. Das geht dich doch nichts an. Ich wusste sehr wohl, wo mein Aufgabenbereich aufhörte und der der Polizei begann.
    Draußen im Gang öffneten sich die Türen des Aufzugs, und Leute vom Reinigungspersonal unterhielten sich lautstark auf ihrem Weg zur Besenkammer ein paar Türen weiter. Sie kamen immer gegen sechs Uhr dreißig. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich Mrs. J. R. McTigue, über die man laut Zeitung damals die Karten hatte vorbestellen können, sowieso nicht erreichen würde. Die Nummer, die ich mir notiert hatte, war vermutlich die Geschäftsnummer der Daughters of the American Revolution, die nach fünf bestimmt nicht mehr besetzt sein würde.
    Schon nach dem zweiten Läuten hob jemand ab.
    Nach einer kurzen Pause fragte ich: »Spreche ich mit Mrs. J. R. McTigue?«
    »Ja, ich bin Mrs. McTigue, warum?«
    Es war zu spät. Es gab keine andere Möglichkeit, jetzt musste ich direkt sein. »Mrs. McTigue, mein Name ist Dr. Scarpetta ...«
    »Doktor wer ?«
    »Scarpetta«, wiederholte ich. »Ich bin Chief Medical Examiner und untersuche den Tod von Beryl Madison ...«
    »Ach, du meine Güte. Ja, ich habe darüber gelesen. Wie schrecklich! Sie war eine so liebenswerte junge Frau. Ich konnte es einfach nicht glauben, als ich hörte ...«
    »Soviel ich weiß, hat sie auf dem Treffen der Daughters of the American Revolution im November gesprochen«, sagte ich.
    »Wir waren so begeistert, dass sie zu uns kommen wollte, denn normalerweise machte sie so etwas nicht.«
    Mrs. McTigue klang wie eine ältere Dame, und ich hatte bereits das Gefühl, umsonst angerufen zu haben. Aber dann überraschte sie mich.
    »Wissen Sie, Beryl hat uns damit einen Gefallen getan. Nur aus diesem Grund konnte die ganze Sache überhaupt stattfinden. Mein verstorbener Mann war ein Freund von Cary Harper, dem Schriftsteller. Sicher haben Sie schon von ihm gehört. Eigentlich hat ja Joe das Ganze organisiert. Er wusste, wie viel es mir bedeutete. Ich habe Beryls Bücher schon seit jeher geliebt.«
    »Wo wohnen Sie, Mrs. McTigue?«
    »In den Gardens.«
    Chamberlayne Gardens war ein Altersheim, nicht weit von der Innenstadt entfernt. Von meinem Beruf her war es mir in finsterer Erinnerung, denn im lauf der letzten paar Jahre hatte ich einige Todesfälle in den Gardens zu untersuchen gehabt, ebenso wie in buchstäblich allen anderen Alters- und Pflegeheimen der Stadt.
    »Könnte ich vielleicht auf meinem Nachhauseweg für ein paar Minuten bei Ihnen vorbeischauen?«, fragte ich. »Wäre das möglich?«
    »Ich glaube schon. Warum nicht? Das ließe sich machen. Wie heißen Sie gleich noch mal, Dr. ...?«
    Ich wiederholte langsam meinen Namen.
    »Ich wohne im Apartment Nummer 378. Gehen Sie in die Eingangshalle, und nehmen Sie den Aufzug in den dritten Stock.«
    Seit ich wusste, wo sie wohnte, wusste ich auch schon eine Menge über Mrs. McTigue. Chamberlayne Gardens betreute die alten Menschen, die ohne Sozialhilfe leben konnten. Die Kautionen für die Apartments waren beträchtlich, und die monatlichen Mieten höher als anderer Leute Hypothekenzinsen. Die Gardens waren, wie andere, ähnliche Institutionen, ein goldener Käfig. So schön sie auch sein mochten, eigentlich wohnte niemand wirklich gern in ihnen.
    Das hohe, moderne Gebäude lag am westlichen Rand der Innenstadt und sah aus wie eine bedrückende Mischung aus Hotel und Krankenhaus. Ich stellte mein Auto auf dem Besucherparkplatz ab und ging zu dem hellerleuchteten Hauptportal. In der Eingangshalle glänzten dem amerikanischen Kolonialstil nachempfundene Möbel, auf denen großartige Seidenblumenarrangements in schweren Vasen aus geschnittenem Bleikristall standen. Auf dem roten Teppichboden lagen maschinengeknüpfte Orientläufer, und an der Decke hing ein Messingleuchter. Ein alter Mann mit

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