Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
gewesen, die sich eine Karte dafür besorgt hätte. Sie kam mir vor wie eine junge Frau, die wenig Wert auf Öffentlichkeit legte, die schrieb, weil sie Freude daran hatte. Das erklärt auch ihre Pseudonyme. Schriftsteller, die ihre Identität so wie sie verschleiern, wagen sich ganz selten in die Öffentlichkeit. Und ich bin sicher, sie hätte auch für mich keine Ausnahme gemacht, wenn da nicht Joes Verbindung zu Mr. Harper gewesen wäre.«
    »Es sieht so aus, als hätte sie nahezu alles für Mr. Harper getan«, bemerkte ich.
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Haben Sie ihn jemals getroffen?«
    »Ja.«
    »Was für einen Eindruck hatten Sie von ihm?«
    »Vielleicht ist er zurückhaltend«, erwiderte sie, »aber mir kommt er manchmal wie ein unglücklicher Mann vor, der sich für ein wenig besser als alle anderen hält. Ich würde sagen, dass er schon eine eindrucksvolle Figur abgibt.« Sie schweifte wieder ab, und der Funken in ihren Augen war erloschen. »Mein Mann war ihm jedenfalls treu ergeben.«
    »Wann haben Sie Mr. Harper zum letzten Mal getroffen?« »Joe starb im vergangenen Frühjahr.«
    »Sie haben Mr. Harper also seit dem Tod Ihres Mannes nicht mehr gesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf und verlor sich in ihre eigenen, bitteren Erinnerungen, von denen ich nichts wusste. Ich fragte mich, was wirklich zwischen Cary Harper und Mr. McTigue vorgefallen war. Hatten sie üble Geschäfte miteinander gemacht?
    Oder hatte Harpers Einfluss Mr. McTigue so verändert, dass er nicht mehr derselbe Mann war, den seine Frau geliebt hatte? Oder vielleicht war Harper einfach nur egoistisch und rücksichtslos.
    »Ich habe gehört, dass er eine Schwester hat. Cary Harper lebt doch mit seiner Schwester zusammen, oder?«, fragte ich.
    Zu meiner Überraschung presste Mrs. McTigue ihre Lippen zusammen, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
    Ich stellte mein Glas auf den Tisch und nahm meine Handtasche.
    Sie folgte mir zur Tür.
    Vorsichtig hakte ich nach. »Hat Beryl Ihnen oder Ihrem Mann jemals geschrieben?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wissen Sie, ob sie noch andere Freunde hatte? Hat Ihr Mann vielleicht einmal jemanden erwähnt?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf.
    »Wen könnte sie mit ›M‹, dem Buchstaben M, gemeint haben?«
    Mrs. McTigue starrte traurig in den leeren Gang, ihre Hand lag auf dem Türgriff. Als sie mich ansah, blickten ihre tränengefüllten Augen durch mich hindurch. »Es gibt in zwei Romanen von ihr einen ›P‹ und einen ›A‹. Ich glaube, es waren Spione der Nordstaaten. Ach, du meine Güte! Ich fürchte, ich habe den Herd nicht abgedreht.« Sie blinzelte ein paarmal, als ob sie direkt in die Sonne geschaut hätte. »Sie kommen mich doch hoffentlich wieder einmal besuchen?«
    »Aber gern.« Ich drückte freundlich ihren Arm und ging.
    Sofort, als ich zu Hause war, rief ich meine Mutter an und war auf einmal froh, die üblichen Ermahnungen und Vorträge zu hören. Ihre starke Stimme klang auf ihre unumwundene Art direkt liebevoll.
    »Bei uns war es die ganze Woche lang über dreißig Grad heiß, und im Fernseher berichteten sie, dass ihr in Richmond nicht einmal zehn Grad hattet«, sagte sie. »Da friert es doch schon fast. Hat es schon geschneit?«
    »Nein, Mutter. Bis jetzt hat es noch nicht geschneit. Wie geht es deiner Hüfte?«
    »Den Umständen entsprechend gut. Ich häkle gerade eine Kniedecke, ich dachte, du könntest sie über deine Beine legen, wenn du im Büro arbeitest. Lucy hat nach dir gefragt.«
    Ich hatte schon wochenlang nicht mehr mit meiner Nichte gesprochen.
    »Sie arbeitet in der Schule gerade an so einem naturwissenschaftlichen Projekt«, fuhr meine Mutter fort. »Es ist ein sprechender Roboter, stell dir vor. Sie hat ihn neulich abends mitgebracht und den armen Sindbad so erschreckt, dass er unters Bett kroch ...«
    Sindbad war ein boshafter, gemeiner, verdorbener und ungezogener Kater, ein grau-schwarz gestreifter Streuner, der meiner Mutter beim Einkaufen in Miami Beach eines Morgens hartnäckig hinterhergelaufen war. Wenn ich zu Besuch kam, beschränkte sich Sindbads Gastfreundschaft darauf, dass er sich auf den Kühlschrank hockte und blöd auf mich herunterglotzte.
    »Rate mal, wen ich neulich getroffen habe«, sagte ich, ein wenig zu lebhaft.
    Der Wunsch, mit jemandem darüber zu sprechen, war plötzlich übermächtig. Meine Mutter kannte meine Vergangenheit, zumindest das meiste davon. »Kannst du dich noch an Mark James erinnern?«
    Schweigen.
    »Er war in Washington und

Weitere Kostenlose Bücher