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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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hat bei mir vorbeigeschaut.« »Natürlich erinnere ich mich an ihn.«
    »Er wollte einen Fall mit mir besprechen. Du weißt doch, er ist Anwalt. In, äh, Chicago.« Ich trat schleunigst den Rückzug an. »Er hatte geschäftlich in Washington zu tun.« Je mehr ich sagte, desto schlimmer erschien mir ihr vorwurfsvolles Schweigen.
    »Soso. Nun, ich erinnere mich noch gut daran, dass du wegen ihm fast gestorben wärest, Katie.«
    Immer wenn sie mich »Katie« nannte, war ich auf einmal wieder zehn Jahre alt.

4
    Wenn man forensische Labors direkt im Haus hat, genießt man unter anderem den Vorteil, dass man nicht erst lange auf schriftliche Berichte warten muss. Die Wissenschaftler dort verfügen, wie ich bei meiner Arbeit auch, oft schon über eine ganze Menge Informationen, bevor sie einen schriftlichen Bericht herausgeben. Ich hatte das Spurenmaterial im Fall Beryl Madison vor genau einer Woche ins Labor gegeben. Der endgültige Bericht würde aller Voraussicht nach erst in ein paar Wochen auf meinem Schreibtisch liegen, aber Joni Hamm hatte sich bestimmt schon ihr persönliches Bild davon gemacht.
    Nachdem ich die Fälle für diesen Vormittag erledigt hatte und in der Stimmung war, ein wenig zu spekulieren, fuhr ich mit einer Tasse Kaffee hinauf in den vierten Stock.
    Jonis »Büro« war nicht viel mehr als eine kleine Nische am Ende des Gangs zwischen den Labors zur Spurenuntersuchung und zur Drogenanalyse. Als ich eintrat, saß sie an einem schwarzen Labortisch und blickte in das Okular eines Stereomikroskops. Sie füllte den Spiralblock neben sich mit säuberlich geschriebenen Notizen.
    »Viel zu tun?«, fragte ich.
    »Auch nicht mehr als sonst«, antwortete sie und schaute sich abwesend um.
    Ich zog mir einen Stuhl heran.
    Joni war eine zarte junge Frau mit kurzem schwarzem Haar und großen dunklen Augen. Sie ging abends zur Universität, um in Medizin zu promovieren. Sie hatte außerdem zwei kleine Kinder und sah immer müde und ein bisschen mitgenommen aus. Aber eigentlich sahen alle, die in den Labors arbeiteten, so aus, und auch von mir wurde häufig dasselbe gesagt.
    »Ich wollte nur wissen, wie Sie im Fall Beryl Madison vorankommen«, sagte ich. »Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
    »Ich habe das Gefühl, dass mehr dahintersteckt, als Sie vielleicht annehmen.« Sie blätterte ein paar Seiten in ihrem Block zurück. »Die Spuren in diesem Beryl-Madison-Fall sind ein Albtraum.«
    Das überraschte mich nicht. Ich hatte eine Menge von kleinen Tütchen und Behältern, gefüllt mit Proben, abgegeben. Beryls Körper war so voller Blut gewesen, dass Partikel an ihm kleben geblieben waren wie an Fliegenpapier. Ganz besonders die Untersuchung von Textilfasern war unter diesen Bedingungen sehr umständlich. Bevor Joni sie unter ihr Mikroskop legen konnte, mussten sie nämlich gereinigt werden. Dazu wurde jede einzelne Faser in einen Behälter mit Seifenlauge gelegt, der dann in ein Ultraschallbad kam. Nachdem die Faser auf diese Weise behutsam von Blut und Schmutz befreit worden war, wurde die Lösung durch steriles Papier gefiltert. Erst dann konnte sie auf einen gläsernen Objektträger aufgebracht werden.
    Joni überflog ihre Notizen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass Beryl Madison nicht in ihrem Haus, sondern woanders ermordet wurde.«
    »Das ist nicht möglich«, antwortete ich. »Sie wurde im ersten Stock getötet, und zwar nicht allzu lange bevor die Polizei am Tatort eintraf.«
    »Das ist mir bekannt. Also, fangen wir mit den Fasern an, die auch sonst in ihrem Haus zu finden sind. Da sind zunächst drei aus dem Blut auf ihren Knien und Handballen. Dabei handelt es sich um Wollfasern. Zwei davon sind dunkelrot, eine ist golden.«
    »Fasern wie die des orientalischen Gebetsteppichs aus dem Gang im ersten Stock?« Ich dachte an die Tatortfotos.
    »Ja«, sagte sie. »Sie passen ganz genau zu den Faserproben, die die Polizei gebracht hat. Wenn Beryl Madison auf Händen und Knien auf dem Teppich gewesen ist, dann wären diese Fasern und ihr Fundort geklärt. So viel zum einfachen Teil der Angelegenheit.«
    Joni nahm einen Stapel von steifen Aktendeckeln zur Archivierung von gläsernen Objektträgern zur Hand. Nach einigerSuche fand sie den richtigen. Sie öffnete die Laschen, überflog eine Reihe von Glasplättchen und fuhr fort: »Außer diesen Fasern haben wir eine ganze Menge weißer Baumwollfasern gefunden, aber die helfen uns nicht weiter, denn sie könnten von überall her

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