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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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zurückliegt. Ich will nur wissen, ob Miss Harper den Flug überhaupt angetreten hat.«
    »Dann war das Ticket gar nicht für Sie?«
    »Nein«, wiederholte ich zum zweiten Mal. »Es war auf ihren Namen ausgestellt.«
    »Dann muss sie sich mit uns in Verbindung setzen.«
    »Sterling Harper ist tot«, sagte ich. »Sie kann sich nicht mit Ihnen in Verbindung setzen.«
    Für einen Moment herrschte am anderen Ende der Leitung betretenes Schweigen.
    »Sie starb ganz plötzlich, als sie vorhatte, eine Reise zu machen«, erklärte ich. »Vielleicht könnten Sie einfach mal in Ihrem Computer nachschauen ...«
    und so ging es weiter. Schließlich konnte ich die Sätze ohne Nachdenken herunterbeten. American Airlines hatte nichts, ebenso wenig hatten Delta, United oder Eastern Airlines etwas über Sterling Harper in ihren Computern. Aus den Unterlagen ging lediglich hervor, dass Miss Harper während der letzten Oktoberwoche, in der Beryl Madison ermordet wurde, Richmond nicht mit dem Flugzeug verlassen hatte. Andererseits war Miss Harper nicht mit dem Auto gefahren, und ich bezweifelte schwer, dass sie den Bus genommen hatte. Blieb also nur noch die Eisenbahn.
    Ein Amtrak-Mitarbeiter namens John sagte, dass der Computer abgestürzt sei und er mich zurückrufen werde. Als ich auflegte, läutete es an meiner Tür.
    Es war noch nicht ganz Mittag, und der Tag präsentierte sich so knackig und frisch wie ein Herbstapfel. Das Sonnenlicht zeichnete weiße Rechtecke auf die Wände des Wohnzimmers und reflektierte auf der Windschutzscheibe eines mir unbekannten Mazda in meiner Auffahrt. Durch den Spion sah ich, dass ein teigig aussehender, blonder junger Mann mit gesenktem Kopf vor der Tür stand. Den Kragen seiner Lederjacke hatte er bis zu den Ohren hochgeschlagen. Mein Ruger lag hart und schwer in meiner Hand. Ich steckte ihn in die Tasche meiner Trainingsjacke und öffnete die Sperrkette. Ich erkannte ihn erst, als er mir direkt gegenüberstand.
    »Dr. Scarpetta?«, stammelte er nervös.
    Ich machte keine Anstalten, ihn hereinzulassen, und legte meine rechte Hand in der Tasche fest um den Griff des Revolvers.
    »Bitte verzeihen Sie mir, dass ich so unangemeldet hier erscheine«, sagte er, »aber ich habe in Ihrem Büro angerufen, und dort wurde mir mitgeteilt, dass Sie im Urlaub seien. Dann habe ich Ihren Namen im Telefonbuch gesucht, und als ich Sie anrief, war besetzt. Daraus schloss ich, dass Sie zu Hause seien. Ich, nun,ich muss ganz dringend mit Ihnen sprechen. Darf ich hereinkommen?«
    In natura sah er noch harmloser aus als auf dem Video, das Marino mir gezeigt hatte.
    »Worum geht es denn?«, fragte ich bestimmt.
    »Beryl Madison, es geht um sie«, stotterte er. »Äh, mein Name ist Al Hunt. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Das verspreche ich Ihnen.«
    Ich trat von der Tür zurück, und er kam herein. Als er auf der Wohnzimmercouch saß, wurde sein Gesicht weiß wie Alabaster, weil er, als ich mich in einem Ohrensessel in sicherer Entfernung niederließ, den Griff des Revolvers aus meiner Hosentasche hervorlugen sah.
    »Äh, Sie haben eine Waffe?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Ich mag sie nicht. Waffen, meine ich.«
    »Wer mag sie schon?«
    »Mein Vater nahm mich einmal mit auf die Jagd«, erzählte er. »Als ich ein Junge war. Er schoss ein Reh. Es schrie. Das Reh, es schrie, lag auf der Seite und schrie. Ich selbst habe es nie fertiggebracht, auf etwas zu schießen.«
    »Kannten Sie Beryl Madison?«, fragte ich.
    »Die Polizei – die Polizei hat mir von ihr erzählt«, stammelte er. »Ein Lieutenant. Marino. Lieutenant Marino. Er kam in die Waschstraße, in der ich arbeite, sprach mit mir und nahm mich dann mit ins Präsidium. Wir hatten ein langes Gespräch miteinander. Sie brachte ihr Auto häufig zu uns. Daher kenne ich sie.«
    Während er weiterplapperte, fragte ich mich unwillkürlich, welche »Farben« ich wohl ausstrahlte. Stahlblau? Oder vielleicht einen Hauch von Hellrot, weil ich nervös war und versuchte, es so gut wie möglich zu verbergen? Ich überlegte, ob ich ihn wegschicken sollte. Ich erwog, die Polizei zu rufen. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass er hier in meinem Haus saß, und seiner Dreistigkeit und meiner Verwirrung war es wohl zuzuschreiben, dass ich überhaupt nichts unternahm.
    Ich unterbrach ihn: »Mr. Hunt ...«
    »Bitte, nennen Sie mich Al.«
    »Also gut, Al«, sagte ich. »Warum sind Sie zu mir gekommen? Warum sprechen Sie nicht mit Lieutenant Marino, wenn Sie eine

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