Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
diese orangefarbene Faser und ihre mögliche Herkunft herauszufinden«, schlug ich vor und fügte ohne Umschweife hinzu: »Und vielleicht sollten wir auch Sparacino ein wenig genauer unter die Lupe nehmen und untersuchen, ob er nicht irgendetwas mit diesem Botschafter zu tun hat, dem möglicherweise die Flugzeugentführung in Wirklichkeit galt.«
Wesley sagte nichts.
Marino war auf einmal vollauf damit beschäftigt, sich mit seinem Taschenmesser einen Daumennagel zu reinigen. Hanowell sah in die Runde, und als augenscheinlich niemand mehr eine Frage an ihn hatte, entschuldigte er sich und ging. Marino zündete sich noch eine Zigarette an.
»Also wenn Sie mich fragen«, sagte er und blies eine Rauchwolke in die Luft, »das Ganze kommt mir immer mehr vor wie ein verdammtes Blinde-Kuh-Spiel. Die Rechnung stimmt doch hinten und vorn nicht. Warum sollte jemand einen internationalen Profikiller engagieren, damit er eine Herzschmerz-Schriftstellerin und einen gescheiterten Romanautor, der jahrelang nichts mehr produziert hat, um die Ecke bringt?«
»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Wesley. »Es kommt alles darauf an, wer wie und mit wem in Verbindung stand. Zum Teufel, es kommt auf alles Mögliche an, Pete. Wie immer. Wir können nur so sorgfältig wie möglich unsere Spuren verfolgen. Das bringt mich übrigens zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung. Jeb Price.«
»Er ist wieder draußen«, sagte Marino automatisch.
Ich sah ihn ungläubig an.
»Seit wann?«, fragte Wesley.
»Seit gestern«, antwortete Marino. »Er hat eine Kaution hinterlegt. Fünfzig Riesen, um es genau zu sagen.«
»Würden Sie mir vielleicht freundlicherweise verraten, wie er das geschafft hat?«, schnauzte ich Marino an.
Ich war wütend, weil er mir noch nichts davon gesagt hatte.
»Machen Sie sich nichts draus, Doc«, tröstete er mich.
Es gab, soweit mir bekannt war, drei Möglichkeiten, auf Kaution freigelassen zu werden. Die erste bestand darin, eine persönliche Bürgschaft beizubringen. Die zweite, Bargeld oder Wertgegenstände zu hinterlegen, und die dritte lief über einen professionellen Kautionsbürgen, der dafür ein Honorar von zehn Prozent der Kaution verlangte sowie einen zweiten Mitbürgen oder irgendeine andere Sicherheit, die garantierte, dass er nicht auf einmal mit leeren Händen dasaß, wenn der Beschuldigte plötzlich aus der Stadt flüchten sollte. Jeb Price, sagte Marino, hatte sich für letztere Möglichkeit entschieden.
»Ich möchte wissen, wie er das geschafft hat«, wiederholte ich, nahm meine Zigaretten heraus und zog die Coladose näher zu mir, damit wir sie gemeinsam benutzen konnten.
»Es gibt da, soweit ich weiß, nur einen Weg. Er ruft seinen Anwalt an, damit der auf einer Bank ein Sperrkonto anlegt und das dazugehörige Einlagenbuch an Lucky schickt.«
»An Lucky?«, fragte ich.
»Jawohl. An die Lucky Bonding Company in der First Street, nur einen Block vom Stadtgefängnis entfernt«, antwortete Marino. »Charlie Lucks Pfandleihhaus für Häftlinge. Auch bekannt als Versetz was und sei frei . Ich kenne Charlie schon sehr lange. Manchmal plaudere ich ein bisschen mit ihm und erzähle ihm die neuesten Witze. Manchmal gibt er mir ein paar Tipps, ein anderes Mal ist er wieder zugeknöpft. Leider handelte es sich bei meinem letzten Besuch um ein anderes Mal. Mit nichts konnte ich ihn dazu bringen, mir den Namen von Prices Rechtsanwalt zu verraten, aber ich habe den Verdacht, dass es kein hiesiger ist.«
»Price hat ganz offensichtlich Verbindungen nach oben«, sagte ich.
»Offensichtlich«, stimmte Wesley düster zu.
»Und er hat überhaupt nichts ausgesagt?«, fragte ich.
»Er hat das Recht, nichts zu sagen, und das hat er, weiß Gott, in Anspruch genommen«, antwortete Marino.
»Was haben Sie über sein Waffenarsenal herausgefunden?« Wesley machte sich wieder Notizen. »Haben Sie es in der Waffenkartei überprüfen lassen?«
Marino berichtete: »Die Waffen sind alle auf ihn zugelassen, außerdem hat er eine Lizenz zum verdeckten tragen einer Waffe, die ihm vor sechs Jahren ein seniler Richter hier in Nord-Virginia ausgestellt hat, der inzwischen in Pension gegangen und irgendwo hinunter in den Süden gezogen ist. Aus den Akten, die mir das Gericht geschickt hat, geht hervor, dass Price damals, als er die Lizenz erhielt, unverheiratet war und bei einem Gold- und Silberhandel mit Namen Finkelstein in Washington arbeitete. Diese Firma Finkelstein, wie könnte es auch anders sein, gibt es dort
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