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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. H. Senzai
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Eislieferung abzuholen«, sagte er. »Als er zu seinem Eiswagen zurückging, fielen zwei Männer über ihn her.«
    Fadi starrte ihn mit großen Augen an. Er ahnte, was kommen würde.
    »Sie griffen ihn an, weil sie ihn für einen Muslim hielten, da er einen Turban und einen Bart trägt. Sie gaben ihm die Schuld für das, was am 11. September geschah.«
    »Aber er ist kein Muslim«, sagte Salmai, den Tränen nahe. Er kannte Mr Singh seit vielen Jahren und hatte von ihm oft Eis geschenkt bekommen.
    »Ich weiß, mein Sohn«, sagte Onkel Amin. »Aber die Angreifer wussten das vermutlich nicht oder es war ihnen egal. Sie waren außer sich wegen dem, was passiert war, und wollten ihre Wut an jemandem auslassen, der Muslim war oder für sie wie einer aussah.«
    »Wie geht es ihm?«, fragte Fadi. Er erinnerte sich, dass er Mr Singh zum letzten Mal in der Nähe des Elizabeth-Sees hatte Eis verkaufen sehen. Er fühlte sich wie betäubt.
    »Er liegt mit gebrochenen Rippen und einer Gehirn­erschütterung im Krankenhaus«, sagte Onkel Amin. »Dort habe ich ihn gerade besucht. Seine Familie war auch da. Die Ärzte sagen, in ein paar Wochen wird er wiederher­gestellt sein.«
    »Mr Singhs Familie muss uns hassen«, stieß Noor hervor.
    »Nein, natürlich nicht, Noor«, widersprach Onkel Amin.
    »Aber die Männer griffen ihn an, weil sie dachten, er sei einer von uns, ein Muslim«, beharrte Noor.
    »Nein, nein«, schaltete Tante Nilufer sich ein. »Mr Singhs Familie würde uns niemals die Schuld dafür geben, dass ihm das widerfuhr.«
    »Kinder«, sagte Habib. Sein ernster Ton ließ alle verstummen. »Die Angriffe in New York und Washington haben den Leuten einen schweren Schock versetzt. Sie haben Angst und sind zornig. Diese beiden Gefühle können Menschen zu schrecklichen Taten treiben. Ich will, dass ihr vorsichtig seid. Wenn ihr in der Schule irgendwelche Probleme mit Leuten habt, die euch belästigen oder beschimpfen, dann sagt es euren Lehrern oder kommt zu uns.«
    »Euer Onkel Habib hat recht«, sagte Tante Nilufer. »Wenn jemand euch bedroht, dann sagt es uns sofort.«
    Die Kinder nickten, auch Fadi.
    »A lso Kinder, es ist Zeit fürs Mittagessen«, sagte Safun a mit einem fröhlichen Lächeln, das ihre Augen nicht ganz erreichte. »Und später gibt es noch einen leckeren Kuchen.«
    Fadi konnte Onkel Amin vom Gesicht ablesen, dass er sich dieselben Sorgen machte wie er, seit Ike und Felix ihn im Flur bedrängt und einen Turbankopf genannt hatten. Er sah Noors beunruhigte Miene und ließ das Thema Barbie fallen. Er war sich sowieso nicht mehr sicher, ob er ihr wirklich erzählen wollte, dass er Barbies verprügelt hatte und warum.

Die Eröffnung
    »Die Dunkelkammer ist kein Plauderstübchen!«, ertönte Miss Bethunes gereizte Stimme von draußen.
    Fadi grinste Anh an, als sie die Tür der Dunkelkammer hinter ihnen abschloss. An diesem Nachmittag waren schon etliche Bilder ruiniert worden, weil ungeduldige Fotoklubmitglieder die Tür geöffnet hatten, sodass die unfertigen Abzüge Licht abbekamen. Aber die beiden gingen kein Risiko ein. Anh hatte schnell erkannt, dass sie mehr Zeit haben würden, wenn alle anderen fertig waren. Deshalb hatten sie und Fadi sich als Letzte in den Terminplan für die Dunkelkammer eingetragen. Außerdem hatten sie Miss Bethune dann ganz für sich allein, falls sie Probleme haben sollten.
    »Du fängst an«, sagte Anh. Sie zog ihre Negative heraus und betrachtete sie im schummrigen Rotlicht mit einem Vergrößerungsglas. »Ich kann mich nicht entscheiden, welche Bilder ich entwickeln soll.«
    Fadi nickte. Die Zeit lief. Sie hatten nur noch eine Woche – nur sieben Tage, nur einhundertachtundsechzig Stunden, nur zehntausendundachtzig Minuten –, um das perfekte Foto bei Miss Bethune abzugeben. Er sprach ein Stoßgebet und rollte vorsichtig die Negative des Films auf, den er übers Wochenende geschossen hatte. Mit an­gespannten Schultern schob er den Filmstreifen in den Negativhalter des Vergrößerungsapparats. Das Gerät war brandneu und viel einfacher zu bedienen als das, das Habib in der Shogund-Straße gehabt hatte. Aber das Prinzip war dasselbe. Fadi hatte schnell heraus, wie er das Objektiv einstellen musste, das das Bild vom Negativ auf das Grundbrett projizierte. Als er mit zusammengekniffenen Augen das dritte Bild begutachtete, pfiff er zufrieden. Das ist es .
    Die Idee zu dem Bild war ihm auf der Fahrt in Habibs Taxi durch San Francisco gekommen, nachdem sein Plan, sich als blinder

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