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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. H. Senzai
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in der Mittagspause gespannt ins Atelier gelaufen, um nachzusehen, wie ihre Abzüge nach dem Trocknen herausgekommen waren.
    Miss Bethune betrachtete das glänzende Schwarz-Weiß-Bild und spitzte den Mund. Fadi blickte wieder auf das Foto hinab und bekam Zweifel.
    »Du hast wirklich ein tolles Bild eingefangen, Fadi«, sagte Miss Bethune. »Es ist eine originelle Idee, San Franciscos multikulturellen Charakter durch eine Art Collage aus verschiedenen Küchen zu veranschaulichen. Das Foto ist gekonnt aufgenommen und der Abzug ist perfekt.«
    »Aber etwas fehlt, stimmt’s?«, fragte Fadi. Stirnrunzelnd fuhr er mit dem Zeigefinger die Straße hinunter, bis zum glitzernden Wasser der Bucht.
    »Sei nicht so streng mit dir«, sagte Miss Bethune. »Es ist ein gutes Foto.«
    »Nein«, sagte Fadi kopfschüttelnd, denn inzwischen dämmerte ihm, was fehlte. »Sie haben uns hundert Mal gesagt, dass gute Fotos etwas über das Leben aussagen, dass sie eine Geschichte erzählen. Das tut mein Bild. Aber Sie haben auch gesagt, dass gute Fotos Gefühle hervor­rufen.«
    »Ja schon, das habe ich gesagt.« Miss Bethune runzelte die Stirn und betrachtete wieder das Foto.
    Fadi blickte zu Anhs Bild hinüber. Sie hatte von Anfang an ein Action-Foto schießen wollen. Nach der Durchsicht ihrer gesammelten Informationen über die Jury-Mitglieder hatte sie beschlossen, ein Foto von einem Paar zu machen, das den argentinischen Tango tanzte. Die Tochter von Millicent Chao war Balletttänzerin und Henry Watson liebte alles Südamerikanische. Und Clive Murray würde ein Action-Foto sicher gefallen, da viele seiner Bilder Menschen in Bewegung zeigten.
    So hatte Anh Fadi zu mehreren Tanzstudios in der ganzen Stadt geschleppt. Sie hatte die Tanztrainer um die Erlaubnis gebeten, sie zu fotografieren, und als schließlich eine reizende Frau die beiden zu einem Tanzwettbewerb eingeladen hatte, den sie veranstaltete, hatte Anh die Gelegenheit begeistert ergriffen. Ihr Vater hatte die beiden frühzeitig hingebracht, damit sie alles vorbereiten konnten, und ihnen viel Glück gewünscht. Da ein Action-Foto ein perfektes Timing und eine ruhige Hand erforderte, hatte Fadi Anh geraten, ein Stativ zu benutzen. Während Anh nervös die Fenster inspizierte, um die beste Lichtquelle zu ermitteln, montierte Fadi ihre brandneue Nikon auf das Stativ und stellte es am Rand der Tanzfläche auf. Er fand das Design des teuren Fotoapparats sehr elegant und seine neuen Funktionen genial.
    Als der Tanzwettbewerb begann, postierte Anh sich in der Nähe der Tanzpaare. Ihr rechtes Auge blickte durch den Sucher und ihr Zeigefinger schwebte über dem Aus­löser. Mit Fadis Hilfe richtete sie den Fotoapparat auf eine bestimmte Stelle in der Mitte der Tanzfläche und wartete, bis die Paare ins Bild wirbelten. Fadi hatte ihr eine kurze Belichtungszeit empfohlen, um die Bewegung im Bild einzufrieren. Am Ende des Tanzwettbewerbs hatte Anh drei Filme vollgeknipst.
    Das Bild, das sie für den Fotowettbewerb ausgewählt hatte, zeigte eine schlanke Frau, deren schimmerndes Klei d ihren geschmeidigen Körper umwehte, während ein Mann im Smoking sie über die Tanzfläche zog. Licht flutete aus dem hinteren Fenster herein, erleuchtete das Paar und betonte die Spannung in seiner leidenschaftlichen Umarmung. Fadi betrachtete die gelungene Momentaufnahme. Sie war so gefühlsgeladen, dass er sich vorkam, als würde er zwei Liebende belauschen.
    » Das ist ein fantastisches Bild«, sagte er mit einem ane r­kennenden Seufzer. »Es enthält alle wichtigen Elemente.«
    »Danke«, sagte Anh und sah ihn beunruhigt an. »Aber du hast auch große Chancen, zu gewinnen, Fadi.«
    »Nein«, erwiderte Fadi entschieden. »Ich denke nicht, dass mein Foto gut genug ist.« Er schnappte sich sein Bild von der Fillmore Street und zerriss es.
    »Bist du dir sicher?«
    »Ja, ganz sicher.«
    »Nun, das ist deine Entscheidung«, sagte Miss Bethune. »Aber du hast nur noch eine Woche, um auf die perfekte Idee zu kommen, und nur noch einen Termin für die Dunkelkammer.«
    Fadi nickte. Er musste diese Reise gewinnen. Deshalb musste er das bestmögliche Foto einreichen. Das zweitbeste nützte nichts.
    »Warte, Fadi«, sagte Anh, als sie das Atelier verließen, und hielt ihn am Ellbogen fest. »Warum ist es dir so wichtig, den Wettbewerb zu gewinnen?«
    Fadi blieb stehen, drehte sich um und sah in ihr besorgtes Gesicht.
    »Ich möchte nicht neugierig sein«, sagte Anh. »Aber ich habe den Eindruck, dass es dir um mehr

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