Flucht im Mondlicht
geht als um die Digitalkamera und den Fototrip.«
Fadi zögerte. Schließlich murmelte er: »Ich muss diese Reise unbedingt gewinnen.«
»Warum?«
Fadi war hin- und hergerissen. Anh war eine gute Freundin. Er konnte sie nicht anlügen. Er zog sie in eine stille Ecke und erzählte ihr von Mariam, doch er ließ den Teil der Geschichte aus, wegen dem er Schuldgefühle hatte. Wortlos trat sie zu ihm und nahm ihn in die Arme. Unbeholfen umarmte er sie auch. Lange seidige Haarsträhnen kitzelten an seiner Nase.
»Es war nicht deine Schuld, Fadi.« Sie schniefte und wischte sich mit einem Ärmel die Augen ab. »Wie mein Vater immer sagt, es war Schicksal. Als er und meine Mutter Vietnam mit einem Boot verließen, um dem Krieg zu entkommen, wurden sie getrennt. Aber in einem Flüchtlingslager in Kambodscha fanden sie einander wieder und gingen zusammen nach Amerika.«
»Oh«, sagte Fadi und löste sich aus ihrer Umarmung.
»Einer von uns wird gewinnen«, sagte sie zuversichtlich. »Und du wirst diese Reise machen.«
Fadi wusste nicht, was er sagen sollte, deshalb lächelte er nur. Ihm war so leicht ums Herz wie schon lange nicht mehr.
Am Boden zerstört
»Na, wie läuft dein Fotoprojekt?«, fragte Noor. Sie steckte ihren Bleistift in ihr Biologiebuch und blickte vom Wohnzimmertisch zu Fadi hinab.
»Nicht so gut«, erwiderte er mit einem schwachen Lächeln. Er hockte auf dem Boden und durchsuchte die Innentasche seines Rucksacks. Er hatte ihn bereits umgestülpt und seinen Inhalt auf den zotteligen olivgrünen Teppich geschüttelt. Die Honigbüchse landete neben dem dreibeinigen Kaffeetischchen. Fadi warf schnell ein Heft darauf, damit Noor nicht fragte, was das war. Das Filmdöschen, das Miss Bethune ihm am Morgen gegeben hatte, war verschwunden. Verdammt . Er wollte am Wochenende Fotos machen.
»›Nicht so gut‹ klingt nach Frust«, sagte Noor. »Was ist passiert?«
Fadi zögerte. Er gab nur ungern zu, dass sein letztes Bild nicht gut genug gewesen war. Er lehnte sich zurück und seufzte. »Ich dachte, ich hätte das perfekte Foto geschossen, als ich mit Vater in San Francisco war. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Nein. Du hast mir schon genug geholfen«, sagte Fadi. Er zog den Reißverschluss der Seitentasche auf und wühlte in ihr herum. »Du hast mir das Geld für die Teilnahmegebühr gegeben. Jetzt muss ich den Wettbewerb auch gewinnen.« Der Film war auch nicht zwischen seinen Stiften. Ich habe ihn bestimmt in der Schule liegen lassen. Verdammt noch mal .
»Fadi«, sagte Noor. Ihre Stimme war nun eine Oktave tiefer. »Ich weiß, dass du ein sehr guter Fotograf bist. Du kennst alle Tricks, die Vater dir beigebracht hat, aber sei nicht allzu enttäuscht, falls du nicht gewinnst.«
Irritiert blickte Fadi zu ihr auf und runzelte die Stirn. Was soll das heißen, falls ich nicht gewinne?
Noor hob die Hand. »Bitte versteh mich nicht falsch. Du hast wahrscheinlich bessere Chancen, zu gewinnen, als sonst irgendwer, aber …«
»Ich werde gewinnen«, sagte Fadi trotzig.
»Schon gut«, sagte Noor. »Ich glaube auch, dass du gewinnen wirst.«
»Ich brauche nur eine tolle Idee. Etwas Einmaliges … etwas, das eine Geschichte erzählt, das voller Gefühl ist und den Betrachter anspricht.«
»Wie wär’s mit mir?«, fragte Noor. Sie setzte sich in Pose und klimperte mit den Wimpern.
»Ich will gewinnen, nicht verlieren«, frotzelte Fadi und schnitt ihr eine scherzhafte Grimasse.
»Nimm dich in Acht, Brüderchen«, sagte Noor und drohte ihm mit der Faust. »Aber es wäre schon toll, wenn du diese Reise nach Indien gewinnen würdest.«
Fadi blickte den Flur hinunter, zum elterlichen Schlafzimmer. Seine Mutter war die ganze Woche kaum herausgekommen. Seit über drei Wochen hatten sie nicht Neues von Mariam gehört.
Noor sah, wohin sein Blick schweifte, und schürzte die Lippen. »Tante Nilufer kommt nachher vorbei. Sie nimmt Mutter zum Einkaufen mit.«
»Das ist gut. Sie muss mal wieder rauskommen«, sagte Fadi. Er schüttelte ein unbehagliches Gefühl ab.
»Wem sagst du das?«, seufzte Noor und verzog frustriert den Mund. »Sie ist inzwischen wieder gesund. Es tut ihr nicht gut, dass sie den ganzen Tag im Bett liegt.«
»Ich weiß, besonders wenn wir essen müssen, was Vater zusammenkocht«, fügte Fadi hinzu.
Sie sahen einander an und grinsten, aber in ihren Augen lag immer noch Besorgnis.
Fadi zog seinen Rucksack zu. »Du, ich habe den Film, den
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