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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. H. Senzai
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Geschäft hallen, ohne sich bewusst zu sein, dass er aus seiner eigenen Kehle kam. Sein Zorn war stärker als jede Vernunft. Er stürzte sich in den Schaukasten und drosch auf ein paar Puppen ein, die zu Boden polterten. Er trampelte auf den schmalen durchsichtigen Plastikschachteln herum, die unter seinen Tennisschuhen knirschten. Dann ging er auf die Knie, riss die Deckel von den Schachteln und zerrte eine Prinzessin-Barbie heraus. Er schüttelte sie mit aller Kraft und fing an, sie und die Fußball-Barbie auf den Betonfußboden zu schlagen.
    Als der Geschäftsführer Fadi fand, hockte er schluchzend auf den zertrampelten Schachteln und ein paar Barbies. Die Frau mit dem kleinen Mädchen im knallrosa Kleid hatte gesehen, wie er in der Puppenabteilung randaliert hatte. Der Geschäftsführer ließ nach Habib suchen und verschwand mit ihm in seinem Büro. Als die beiden Männer wieder herauskamen, sah Fadi Mitgefühl und Verständnis auf dem Gesicht des Geschäftsführers. Er hatte keinen allzu großen Schaden angerichtet, aber Habib musste vier Barbies bezahlen, deren Arme und Beine ausgekugelt waren. Salmai warf einen befremdeten Blick auf die gekauften Puppen, aber er war zu begeistert von seinem eigenen Geschenk, um zu fragen, warum Fadi sich ausgerechnet Barbies ausgesucht hatte.
    Fadi saß mit seinen Verwandten um den Dastarkhan , gegenüber von Salmai. Er hatte sich das Haar in die Stirn gezupft, damit niemand den blauen Fleck sah, den er sich zugezogen hatte, als er mit dem Kopf gegen den Metallrah­men des Barbie-Schaukastens gestoßen war.
    Alle waren ungewöhnlich still, während Tante Nilufer und seine Mutter Teller mit Essen austeilten. Fadi blickte auf den leeren Platz neben der Schiebetür, die in den Hintergarten hinausführte. Dort saß sonst Onkel Amin, aber er war noch nicht zu Hause. Ein großer Schokoladen­kuchen mit zwölf Kerzen darauf stand auf dem Kaffeetisch, für später. Aber Fadi war heute nicht danach. Nur Oma Abai und Opa Dada schienen die Spannung im Raum nicht zu bemerken. Sie saßen beisammen und plauderten angeregt über eine Halskette, die Dada ihr nach der Hochzeit gekauft hatte. In der Hektik ihrer Abreise aus Kabul hatte sie das Schmuckstück dort liegen lassen. Nun forderte sie Dada im Scherz auf, ihr eine neue Kette zu besorgen. Sie schürzte die Lippen und tat so, als würde sie schmollen. Fadi musste über Dadas hilfloses Schulterzucken lächeln. Manchmal benahmen die beiden sich wie Frischvermählte, und es war fast peinlich, ihnen zu­zusehen.
    Noor traf von der Arbeit ein und setzte sich neben Fadi.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    Er sah in ihre neugierigen Augen und sein Herz krampfte sich zusammen. Ich will es ihr sagen. Ich muss jemandem von Mariam und Gulmina erzählen . »Ich habe im Spielzeuggeschäft ein paar Barbies verprügelt«, flüs­terte er.
    »Was hast du gemacht?«, fragte sie mit hochgezogenen Brauen.
    Fadis Herz raste. »Schau … ich weiß, dass das sehr dumm von mir war, aber …« Bevor er ein Geständnis ablegen konnte, kam Onkel Amin zur Tür herein. Seine Miene war grimmig.
    Tante Nilufer stellte hastig den Brotkorb auf den Dastarkhan und wirbelte herum. »Amin, Jan , ist es wahr?«, fragte sie.
    Onkel Amin fuhr mit einer Hand über sein schütteres Haar und erwiderte mit einem Blick auf die Kinder: »Ja, aber ich werde später darüber reden.«
    Ein beklommenes Schweigen erfüllte den Raum. Die Kinder sahen einander fragend an.
    Sahar, eine der jüngeren Cousinen Fadis, beugte sich vor und blies ihre Pausbacken auf. »Der arme Mr Singh wurde zusammengeschlagen«, nuschelte sie leise.
    »Was?«, fragte Salmai.
    »Mr Singh, der Mann aus dem Eiswagen«, sagte Sahar mit aufgerissenen Augen. »Ich habe gehört, wie Mama es Tante Nilufer erzählt hat.«
    »Mr Singh wurde zusammengeschlagen?«, platzte Salmai heraus.
    Onkel Amin wechselte einen gequälten Blick mit den Erwachsenen.
    »Aber warum denn?«, fragte Salmai.
    »Er ist so ein netter Mann«, sagte Fadi. Alle Gedanken an ein Geständnis verflüchtigten sich.
    »Ach, du lieber Himmel«, brummte Onkel Amin und sah seine Frau an.
    »Sie werden es so oder so mitbekommen«, sagte Tante Nilufer mit einem tiefen Seufzer. »Erzähl ihnen, was passiert ist. Es ist wichtig, dass sie es von uns erfahren.«
    Onkel Amin ließ sich neben der Schiebetür nieder und griff nach einem Glas Wasser. Er nahm einen langen Schluck, bevor er sprach. »Gestern Abend fuhr Mr Singh, wie üblich, zum Lager, um eine

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