Flucht im Mondlicht
Passagier nach Peschawar durchzuschlagen, aufgeflogen war. Bilder der Stadt mit ihren vielen Hügeln, ihren kurvigen Straßen und ihren farbenfrohen Vierteln waren ihm im Gedächtnis haften geblieben und hatten ihn daran erinnert, wie er mit seinem Vater durch die Berge von Kabul gewandert war und von dort oben Fotos von der Stadt gemacht hatte.
Eines Nachmittags, als Fadi mit seinem Vater alleine in der Wohnung war, erzählte er ihm etwas nervös, dass Noor ihm das Geld für den Fotoklub gegeben hatte.
»Wirklich?«, fragte Habib und blickte über seine Lesebrille zu Fadi auf.
»Hm, ja«, erwiderte Fadi.
»Das war sehr nett von ihr«, sagte Habib und schaute wieder auf die Straßenkarte von Oakland, die er sich einzuprägen versuchte.
Erleichtert erklärte Fadi seinem Vater, mit was für einem Foto er den Wettbewerb gewinnen wollte. Habibs Augen funkelten vor Interesse. Er fand Fadis Idee großartig. Am darauffolgenden Wochenende durfte Fadi ihn bei der Arbeit begleiten, und als Habibs Schicht um sechs Uhr abends zu Ende war, spazierten die beiden gut gelaunt durch die Stadt und aßen Schokoladen-Doughn uts. Aber das Beste war, dass sie zusammen Fotos schossen.
Nun drehte Fadi an den Knöpfen des Vergrößerungsapparats, um das Bild scharf zu stellen. Die verschwommenen grauen Linien wurden klarer, bis die Fillmore Street zum Vorschein kam. Er hatte den Schnappschuss im frühen Morgenlicht von einem hohen Hügel aus gemacht. Die Straße fiel sehr steil ab und endete vor den glitzernden Fluten der Bucht von San Francisco. Die Beleuchtung war perfekt. Das Originelle an der abschüssigen Straße waren die Restaurant-Schilder, die auf beiden Seiten von den eleganten Gebäuden herausragten. Es gab ein chinesisches Restaurant, ein deutsches Hofbräuhaus, eine mexikanische Taquería , einen Falafel-Imbiss und eine französische Bäckerei.
Der Bildaufbau stimmt , dachte Fadi. Hoffentlich gefällt der Jury das Foto .
Die Direktorin des Exploratorium-Museums, Millicent Chao, hatte Architektur studiert, und das Foto setzte imposante Gebäude in Szene. Es waren Restaurants und der Stadtrat Henry Watson besaß selbst eines. Beide Jury-Mitglieder liebten San Francisco und das Foto zeigte die Stadt von einer wunderschönen Seite. Leider wusste Fadi nicht, was Lauren Reed gefiel, da es ihnen nicht gelungen war, mehr über sie herauszufinden. Und Clive Murray? Dem würde das Foto sicher auch gefallen, denn die verschiedenen Restaurants standen für ethnische und kulturelle Vielfalt. Die Perspektive und der Bildausschnitt waren so gewählt, dass der Blick des Betrachters der Straße bis hinab zum Wasser folgte. Dabei las er natürlich die Restaurantschilder, die das Gefühl einer Reise durch die Welt des Essens vermittelten.
Fadi schaltete den Vergrößerungsapparat aus und holte einen Bogen Fotopapier vom Format acht mal zehn. Er schob ihn unter das Objektiv und schaltete den Vergrößerungsapparat wieder an. Licht fiel durch das Negativ auf das Papier hinab. Innerhalb einer Minute schaltete das Gerät sich automatisch aus.
Fadi atmete aus. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Er entfernte die Negative aus dem Gerät und packte sie weg. Dann nahm er das Fotopapier heraus und wandte sich an Anh.
»Jetzt bist du dran«, sagte er.
Während Anh sich am Vergrößerungsapparat zu schaffen machte, trug Fadi das Fotopapier in den »Nassbereich« der Dunkelkammer. Miss Bethune hatte drei Schalen mit verschiedenen Bädern vorbereitet und in das lange Edelstahlspülbecken gestellt. Mit Zangen legte Fadi das Papier in die erste Schale, die die Entwicklerflüssigkeit enthielt. Dieser Prozess war heikel. Das Papier durfte nur eine Minute in der Lösung bleiben. Wenn es zu lange darin lag, wurde das ganze Bild schwarz. Fadi stellte die Schaltuhr ein und starrte auf das Papier.
Als die Uhr klingelte, stellte er sie auf weitere fünf Sekunden ein. Dann holte er das Papier mit den Zangen aus dem Entwickler und legte es in das Stoppbad. Anschließend kam der Abzug noch zwei Minuten in den Fixierer, der ihn lichtecht machte. Behutsam zog Fadi den Abzug heraus und schüttelte die Flüssigkeit ab. Dann hängte er ihn mit Klammern zum Trocknen auf. Nun musste er nur noch warten, deshalb ging er zu Anh hinüber, um ihr bei ihren Abzügen zu helfen.
Fadi blickte von seinem Foto der Fillmore Street zu Miss Bethunes nachdenklichem Gesicht hinauf. »Was meinen Sie?«, fragte er. Er und Anh waren am nächsten Tag
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