Flucht in die Hoffnung
zu. Kaufte Lebensmittel nur in türkischen Läden, fuhr extra
nach Venlo, rannte mir die Hacken ab, um wirklich frische Zutaten, Kräuter und
spezielle Gewürze zu ergattern. Versuchte verzweifelt, so zu kochen, wie ich es
bei den Frauen seiner Familie beobachtet hatte. Um ihn zu besänftigen. Um mich
zu beschäftigen.
Ich gab mein Bestes, wusste ich doch, dass der Wert einer Ehefrau in
Tunesien auch an ihrer Kochkunst gemessen wird. Doch ich scheiterte. Woher
hätte ich die Originalzutaten nehmen sollen? Es war mir nicht möglich, rein
tunesisches Essen zuzubereiten – und das demonstrierte Farid mir Abend für
Abend, wenn er den Teller beiseiteschob, über den Rand des Tisches hinaus,
sodass er am Boden zerschellte. Wenn er mit der Hand in das Essen griff und es
wütend zurück auf den Teller schleuderte und alles hochspritzte, sein Hemd befleckte,
manchmal sogar sein Gesicht. Aber das war ihm egal, das nahm er auf sich, um
mir zu vermitteln, dass ich noch viel, sehr viel lernen musste.
Einmal fuhren wir von einem Besuch bei meiner Oma nach Hause.
Farid hätte eigentlich guter Dinge sein können, denn meine Oma hatte ihm
großzügig Geld zugesteckt. Aber er war übelst gelaunt, und auf einmal waren wir
in ein Streitgespräch verwickelt. Wie immer entzündete es sich an einer Kleinigkeit,
wir stritten ausschließlich um Banalitäten, ob ein Logo rot oder weiß sei, ob
man irgendwo nach rechts oder links abbiegen musste, ob etwas 1,99 oder 1,98
kostete. Jedes unverfängliche Thema konnte in einer Rechthaberei eskalieren,
und ich wollte nicht immer zu allem schweigen und klein beigeben. Es war schon
spät, Emira hatte Hunger, ich fuhr zügig auf der linken Spur, da spuckte mir
Farid bei Tempo 140 km/h voller Verachtung auf die rechte Backe.
»Du bist Dreck. Einfach nur Dreck«, schleuderte er auf Tunesisch
hinterher.
Meine Hände zitterten, mein Herz raste. Ich blinkte, fädelte mich
vor einem Lkw ein, kontrollierte im Rückspiegel, ob Emira schlief. An der
nächsten Ausfahrt, wo wir die Autobahn ohnehin verlassen hätten, hielt ich an.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Bitte steig aus. Du kannst zu Fuß nach
Hause gehen, es ist nicht weit. Ich fahre zu meinem Vater.«
Wortlos öffnete Farid die Tür und knallte sie zu.
Diesmal konnte ich das Ungeheuerliche nicht für mich behalten.
Schluchzend erzählte ich meinem Vater von der Spuckattacke. Seine Gesichtsfarbe
wechselte von blass zu rot und wieder zurück. So hatte ich ihn noch nie
gesehen.
»Komm!« Mit großen Schritten stürmte er aus
dem Haus. Er musste mir nicht sagen, wohin ich fahren sollte. Als wir zu
unserer Wohnung abbogen, sahen wir Farid wenige Meter von unserem Haus entfernt
locker schlendern.
»Stopp!«, rief mein Vater und sprang aus
dem noch fahrenden Auto. Farid drehte sich um, erkannte ihn und nahm die Beine
in die Hand. Er schaffte es ins Haus, ehe mein Vater ihn erreichte.
Wir brauchten beide lange, bis wir uns beruhigten. Für meinen Vater
war dies ein einschneidendes Erlebnis, da er sich selbst als sanftmütigen, verständnisvollen
Menschen einschätzte, der niemals die Hand gegen einen anderen erhob. Er hätte
Farid hemmungslos verprügelt, wenn er ihn erwischt hätte.
Von diesem Tag an war das Verhältnis zwischen Schwiegervater und
-sohn zerrüttet.
Mein Vater hatte Farid noch nie gemocht, den er »affig« fand mit
seinen teuren Klamotten, meistens Anzug mit Krawatte, immer geschniegelt der
Herr Doktor, affektiert in seinem Auftreten, ein arroganter Schnösel und
Blender, der jede Gelegenheit nutzte, um nach Anerkennung zu heischen.
»Papa, dahinter steckt Unsicherheit. Er ist doch fremd hier«, hatte
ich Farid immer verteidigt. Diese mildernden Umstände hatten bei meinem Vater
nun unwiderruflich ausgedient.
Und ich war noch ein Stück einsamer. Mein Vater drängte mich nicht,
Farid zu verlassen, doch ich spürte, dass er es quasi erwartete. Aber das kam
für mich nicht infrage. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt … und ja, ich
hatte noch Hoffnung. Das konnte doch nicht schon alles gewesen sein. Dafür
hatte ich doch nicht alles hinter mir gelassen, meine Ausbildung abgebrochen,
sein Leben finanziert … Und nein, Emira sollte mit Mutter und Vater aufwachsen,
das stand ihr doch zu.
So flüchtete ich in Gedanken in die Vergangenheit. Sah die Palmen
und die Sonne, spürte unseren Lebenshunger, roch den Duft des Meeres und der
Gewürze vom Basar, dachte an durchtanzte Nächte und das Versprechen von Glück
und Geborgenheit
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