Flucht in die Hoffnung
in seinen Blicken. Das war wirklich gewesen, und noch immer
hing ich daran, während das Leben an seiner Seite mich in ein blindes Wesen verwandelt
hatte, das all der Aggression und Verachtung wie ferngesteuert auswich.
DER TUNESISCHE PASS
Zu Emira war Farid zuckersüß. Sie war seine Prinzessin,
sein Augenstern, sein Ein und Alles, und er trug sie auf Händen. Ständig
fotografierte er sie, klebte die Fotos gewissenhaft in Alben, schickte sie an
seine Verwandten. Wenn er nach Hause kam, galten seine ersten Blicke und seine
Fragen ihr. Emira stand weit über mir, ich war bloß das Anhängsel. Es machte
mir nichts aus, denn zeigte es nicht, dass Farid ein liebender Vater war? Und
war es nicht meine Aufgabe als gute Mutter, mich in meine Rolle zu fügen?
Ich fügte mich. Denn schließlich liebte auch ich meine Tochter
abgöttisch.
Doch an einem Abend kurz vor Weihnachten, Emira schlief, geschah
das, was ich immer befürchtet hatte. Das Pulverfass, auf dem ich lebte, drohte
zu explodieren. Die Luft um Farid flirrte förmlich. Er bäumte sich vor mir auf wie
ein böser Geist. Seine Augen starr und groß, das Gesicht verzerrt, bohrte sich
sein Blick in meine Seele wie ein Messer. Angstschweiß brach mir aus, meine
Kehle war wie zugeschnürt, meine Hände zitterten. Ich wollte wegrennen, doch
ich konnte mich nicht bewegen. Mit langsamen Schritten, meine Panik auskostend,
so kam es mir vor, näherte Farid sich mir.
»Ich rufe die Polizei!«, keuchte ich.
Er lachte.
Ich riss das Telefon an mich, stürzte in den Flur und wählte die
110. »Bitte kommen Sie schnell, ich habe furchtbare Angst vor meinem Mann!«
Höhnisch grinsend, die Arme vor der Brust verschränkt, beobachtete
Farid mich, bannte mich mit seinem Blick und weidete sich an meiner Angst.
Eine Viertelstunde später trafen zwei Beamte ein. Farid, die Liebenswürdigkeit
in Person, öffnete ihnen die Tür und bat sie herein. Wie leid es ihm tue, dass
seine Frau sie hierher bemüht habe. Sie neige zur Hysterie. Das sei so seit der
Geburt ihres Kindes. Dafür müsse man als Mann Verständnis aufbringen, oder etwa
nicht? Ob die Polizisten auch Kinder hätten?
Er hätte gar nichts getan, hätte sich sogar bedankt, dass seine Frau
sein Lieblingsessen gekocht habe. Sein einziger Fehler sei es gewesen, dass er
freundlich angemerkt habe – er sei schließlich ein ehrlicher Mensch –, dass ihm
dieses Gericht bei seiner Mutter besser schmecke, doch: »Ist das nicht normal?«, fragte er die Beamten.
Einer grinste, der andere ging abwartend einen Schritt zurück. Dann
fragte er mich: »Stimmt das?«
»Ja«, flüsterte ich. Farids Gegenwart entzog mir alle Kraft. Und
inhaltlich stimmte es ja auch, ungefähr. Bloß hatte er sich weder bedankt noch
mich freundlich hingewiesen, sondern seine Macht über mich demonstriert.
»Frau Rothkamm«, fragte der Polizist mich, »ist alles in Ordnung mit
Ihnen?«
Ich nickte.
»Brauchen Sie Hilfe?«
Ich schüttelte den Kopf.
Die Polizisten wechselten einen Blick.
»Ja, wie gesagt, es tut mir wirklich leid, dass wir Sie wegen solch
einer Lappalie bemüht haben«, entschuldigte Farid sich weltmännisch, stellte
sich neben mich und legte den Arm um meine Schulter. Mir wurde übel.
Vielleicht hatte ich mir alles ja nur eingebildet. Schließlich hatte
Farid nicht die Hand gegen mich erhoben und hatte auch nichts nach mir
geworfen. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Die Polizisten sollten nicht
glauben, dass wir so wären wie andere Paare. Ich wollte das Vorurteil nicht
bestätigen, dass Ehen aus unterschiedlichen Kulturen zum Scheitern verurteilt
wären. Bei uns war das anders. Unsere Schwierigkeiten kamen von den Umständen,
nicht von der Kultur, denn ich liebte sein Heimatland.
Sobald die Polizei weggefahren war, was Farid seitlich am Fenster
stehend beobachtete, flätze er sich auf das Sofa und schaltete mit einem
selbstzufriedenen Gesichtsausdruck den Fernseher ein.
Als sein Deutschstudium am Goethe-Institut sich dem Ende
zuneigte, bewarb er sich an Kliniken in ganz Deutschland als Assistenzarzt. Das
Fachgebiet war ihm egal, ob Forensik oder Anästhesie, Hauptsache eine
Anstellung. Doch er bekam nur Absagen. Das machte ihn noch unzufriedener und
gereizter, und ich stand jeden Tag länger in der Küche und gab mir Mühe, ihn zu
besänftigen. Es gab dennoch immer einen Grund für ihn, mir meine
Unzulänglichkeit vorzuwerfen, offenbar war ich für ihn die Unzulänglichkeit in
Person. Die Kleine hatte Schnupfen, ich hatte nicht
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