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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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an, wählte aus, befahl: »Du nach dort, du nach dort, du ins Haus!« Emira und ich wurden mit einem Dutzend anderer wie Ziegen
durch eine kleine Häusergasse an den Strand getrieben. Noch im Auto hatten wir
erfahren, dass wir am Meer unsere Schuhe ausziehen und die Hosenbeine
hochkrempeln sollten. Es war kalt an diesem 7. März 2011, und der Sand war feucht.
    Der Mann mit dem Baseballschläger deutete auf mein Gepäck: »Was ist
denn das?«
    Noch ehe ich antworten konnte, nahm ein fremder Mann die Taschen an
sich. »Das trage ich!« Ein anderer schnappte sich
Emiras Rucksack und brachte ihn zu einem kleinen Boot, das in Strandnähe auf
dem Wasser schaukelte. Es wackelte gefährlich, da immer mehr Männer einstiegen.
Als wir endlich an Bord waren, klebte meine Hose nass an den Oberschenkeln.
Emira war zum Glück trocken geblieben. Nun ging alles rasend schnell – als müssten
wir die lange Zeit des Wartens wieder hereinholen. Schon waren wir unterwegs
aufs offene Meer. Ich entdeckte drei Schiffe. Ein großes voller Menschen, das
bereits Schlagseite zeigte, ein mittelgroßes, auf dem noch Plätze frei waren,
und ein kleines.
    »Wir nehmen das mittlere«, sagte ich zu dem Mann am Außenbordmotor,
denn das machte mir den stabilsten Eindruck.
    Er nickte und steuerte das Boot geschickt an die Breitseite unserer
Hoffnung. »Yalla, yalla!«

MIT 120 MÄNNERN IN EINEM BOOT
    Wir wurden eher an Bord geworfen denn gehoben, unser
Gepäck folgte. Das Boot wackelte schrecklich. In den Augen der Männer um mich
herum las ich Panik. Vermutlich sehe ich auch so aus, dachte ich, obwohl ich im
Gegensatz zu den meisten Tunesiern schwimmen konnte.
    Immer mehr Männer wurden an Bord geschoben und enterten es dann
selbst, obwohl das Boot längst voll war. Einer derjenigen, die offenbar etwas
zu sagen hatten, winkte mich und Emira zur Kapitänshütte, einem kleinen
Häuschen auf dem Boot. Dort befanden sich bereits zwei Frauen und ein Mädchen
im Teenageralter. Sie nickten uns zu. Es war so eng, dass man sich kaum bewegen
konnte. Eine der beiden Frauen zückte ihr Handy und teilte irgendjemandem in
schreiendem Plauderton mit: »Stell dir vor, da ist eine Europäerin an Bord mit
ihrer kleinen Tochter. Stell dir vor …«
    »Was soll das!«, fragte ich voller
Misstrauen auf Tunesisch. »Ist das jetzt wichtig?«
    Sie verdrehte genervt die Augen, beendete das Telefonat dann aber
zügig. Alle an Bord waren gereizt. Auch der Kapitän, wie ich seinen rüden Befehlen
entnahm, die er herausfluchte. Mit Sorge beobachtete ich, dass immer mehr
Männer an Bord kletterten. Das Boot war schon vor fünf Minuten völlig überfüllt
gewesen.
    Ich wandte mich an den Kapitän. »So geht das nicht weiter! Das sind
viel zu viele Leute! Wir riskieren unser Leben.«
    Der Kapitän schüttelte nur den Kopf und kurz darauf fuhren wir auch
schon los, obwohl noch mehrere kleine Boote voller Passagiere in unsere Richtung
unterwegs waren. Verzweifelt versuchten manche Männer, an Bord unseres Schiffes
zu gelangen, einige stürzten ins Wasser, andere wurden hochgezogen, fielen
zurück. Ihre Gesichter werde ich niemals vergessen. Keiner von ihnen schaffte
es.
    Der Mann mit dem Baseballschläger, den ich am Strand schon gesehen
hatte, näherte sich mit einem Schnellboot und schrie dem Kapitän etwas zu. Dann
sprang er behende auf unser Boot und pferchte dort mit dem bedrohlich durch die
Luft zischenden Schläger die dicht an dicht sitzenden Männer
noch enger zusammen. Ich versuchte alles zu fotografieren, obwohl mir geraten
worden war, es besser zu unterlassen. Heimlich fotografierte ich weiter. Das
Boot, das längst proppenvoll war, musste zirka dreißig weitere Passagiere aus
einem alten Kahn mit knatterndem Außenbootmotor aufnehmen. Es war nicht mehr
möglich, sich zu bewegen. Selbst die Stellung eines Fußes zu verändern bedurfte
der Mitarbeit der Nachbarn, so eingequetscht saßen und lagen die Männer.
    Mittlerweile war die Sonne am tiefblauen Himmel aufgegangen und
versprach einen strahlenden Tag. Das Wetter hätte nicht besser sein können.
Keine Wolke trübte den Himmel, kein Windhauch regte sich, das Meer lockte glatt
wie ein Spiegel. So ein Glück konnte ich zuerst gar nicht fassen und starrte an
den Horizont, bis meine Augen tränten. Da musste doch jetzt gleich eine Wolke
auftauchen und dann viele und dann das Gewitter, der Sturm. Sie tauchte aber
nicht auf. Alles blau. Wasser und Himmel. Wunderbar. Dennoch machte ich mir
nichts vor. Ich wusste, dass auf

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