Flucht in die rote Welt
sie erst in ein paar Monaten bekommen. Unsere Verbindung ist damit gelöst, Mister Winter. Leben Sie wohl.«
Er ließ nicht locker. »Einen Moment, Miß Farnham – Wilma. Ich hörte, daß Sie alle Aufzeichnungen verbrannt haben.«
»Das ist richtig.«
»Es könnte also sein, daß uns die Finanzleute vorladen ...«
»Mister Winter! Ich wußte, daß Sie mich anrufen würden. Ich wußte, daß Sie beim Tode von Mister Krepps sofort Ihr Wort brechen würden. Ich halte das meine. Lieber lasse ich mich ins Gefängnis stecken, als daß ich diesen großartigen Mann verrate. Sie können mich jedenfalls nicht dazu überreden. Sie sind ein elender Kriecher und Feigling, Mister Winter. Ihr Onkel hat Sie sein Leben lang überschätzt. Belästigen Sie mich bitte nie wieder.«
Sie hatte aufgelegt.
Zwanzig Minuten später drückte er auf die Klingel ihrer Wohnung. Als sie sich per Sprechanlage meldete und seinen Namen hörte, öffnete sie nicht. Er drückte wahllos auf ein paar andere Klingeln. Der Türöffner summte, und er betrat den kleinen Vorraum. Der Aufzug war in Betrieb, und so ging er zu Fuß in den zweiten Stock, wo er ihr Apartment entdeckte. Er trommelte mit der Faust gegen die Tür.
»Gehen Sie weg!« kreischte sie.
Er trommelte weiter. Eine Tür am anderen Ende des Korridors ging auf. Eine Frau starrte ihn an. Er grinste sie an und schnitt eine Grimasse, und sie verschwand verängstigt.
Schließlich öffnete sich die Tür. Wilma Farnham versuchte ihm den Weg zu versperren, aber er schob sich gewaltsam an ihr vorbei und schloß die Tür.
»Wie können Sie es wagen!«
»Das ist der blödeste Ausspruch des Jahres, Wilma.«
»Sie sind stinkbetrunken!«
»Ich bin stinkwütend. Jetzt setzen Sie sich, halten Sie den Mund und hören Sie mir zu!« Er packte sie an den Schultern, schob sie zur Couch und setzte sie hin. Sie fauchte wütend.
»Ich werde sofort ...«
»... den Mund halten!« Er starrte sie an. Sie trug ein unförmiges Frotteekleid in einem abscheulichen Braun. Das Kastanienhaar fiel ihr auf die Schultern. Sie hatte ihre Brille abgenommen und blinzelte ihn kurzsichtig an. »Wie zum Teufel kommen Sie darauf, Wilma, daß Sie Tugend, Ehre und Treue gepachtet hätten? Wer gibt Ihnen das Recht, mich zu beurteilen, wenn Sie mich überhaupt nicht kennen?«
»A-aber Sie schienen immer mit der M-masse ...«
»Still! Sie haben getan, was Ihnen befohlen wurde. Schön. Ich gratuliere. Aber deswegen stehen Sie nicht einzigartig in der Welt da. Ich habe auch getan, was mir befohlen wurde. Ich habe ihnen kein Wort verraten.«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Kein Wort?«
»Nichts.«
»Aber diese Anwälte haben mir erklärt, daß Sie alles sagen würden. Sie meinten, das sei der einzige Weg für Sie, noch Geld aus Omar Krepps' Vermögen zu bekommen.«
»Die Leute haben sich ebenso verschätzt wie Sie, Wilma.«
»Haben Sie – überhaupt nichts gesagt? Haben Sie einfach die Aussage verweigert?«
»Etwas viel Schlaueres. Ich sagte ihnen etwas, das sie unmöglich glauben konnten – ich sagte ihnen, daß ich alles weggegeben hätte.«
Ihre Augen waren mit einemmal riesig und rund. »Aber – das ...«
Plötzlich begann sie zu kichern. Er hätte nicht geglaubt, daß sie zu so kindischem Gekicher fähig wäre. Dann lachte sie laut und schrill. Er lachte mit ihr. Ihr Lachen ging in Schluchzen über. Tränen kullerten ihr über das Gesicht.
Er ging zu ihr und setzte sich neben sie. Zwischen wilden Schluchzern stieß sie hervor: »Tut mir leid – so allein – nicht so gemeint – muß mich schämen ...«
Er legte ihr den Arm um die Schulter und tätschelte sie. »Na, na, na ...«
Endlich beruhigte sie sich. Er spürte, wie frisch ihr Haar roch und wie weich sich ihre Figur unter dem furchtbaren Kittel abzeichnete. Ganz plötzlich versteifte sie sich und rutschte ans andere Ende der Couch.
»Kommen Sie nicht in meine Nähe. Rühren Sie mich nicht an, Sie – Sie Bock!«
»Wilma!«
»Ich kenne Sie. Vielleicht machen die anderen mit, aber ich nicht – das können Sie sich merken.«
»Was zum Teufel soll das jetzt wieder?«
»Spielen Sie nur den Unschuldsknaben! Ich weiß genau, was Sie im Sinn hatten, als Sie unsere Konferenzen in dieses schmuddelige kleine Hotel verlegten. Ich war jeden Augenblick auf das Schlimmste gefaßt. Ich wußte, daß Sie wie ein Verrückter hinter mir her sein würden, wenn ich Ihnen nur die geringste Gelegenheit geben würde.«
»Was ...?«
»Ich hatte nicht die Absicht, Ihr
Weitere Kostenlose Bücher