Flucht in die rote Welt
Miami-Püppchen zu werden, Mister Winter. Sie konnten genug Mädchen bei Ihren Reisen durch die ganze Welt haben. Ich ging nur mit Angst und Schrecken in dieses Hotelzimmer. Ich wußte, wie Sie mich ansahen. Und ich habe dem lieben Gott gedankt, daß ich häßlich bin, denn sonst hätten Sie ganz die Beherrschung verloren. Und jetzt, da alles vorbei ist, kann ich Ihnen etwas gestehen, Mister Winter, was mich ganz krank vor Scham macht. Manchmal hätte ich mich trotz aller Verachtung am liebsten an Ihren Hals geworfen.«
»An meinen ...«
»Es war der Teufel in meinem Innern, Mister Winter. Es war die Krankheit des Fleisches, ein verrückter Drang, mich zu entwürdigen. Aber ich habe meinen Lüsten nicht nachgegeben. Ich habe mir nichts anmerken lassen.«
»Aber wir saßen doch nur im Zimmer und gingen die Berichte durch ...«
»So sah es aus, ja. Ah, aber die ungesagten Dinge, Mister Winter, der innere Aufruhr und die Anspannung. Was sagen Sie dazu?«
Er hob die Rechte. »Miß Farnham, ich schwöre vor Gott, daß ich niemals, keinen Augenblick lang, auch nur die geringste Absicht ...«
Er unterbrach sich mit einemmal. Er erkannte, weshalb das Apartment so unpersönlich und steril wirkte. Er sah, wie sich das Gesicht des Mädchens veränderte. Und er wußte, daß er ihr das nicht antun konnte, auch wenn sie ein wenig verrückt war.
Er senkte die Hand und blinzelte ihr zu. »Na, ich sehe schon, damit komme ich nicht durch, was?«
»Wie bitte?«
Er blinzelte wieder. »Verflixt, Baby, wenn ich dich so hüftewiegend zum Aufzug gehen sah, dachte ich mir: Weg mit der Brille und 'raus aus den Jungfernkleidern, und die Kleine wäre eine Wucht.«
»S-sie Tier!«
Er zuckte mit den Schultern. »Aber wie gesagt, Baby, du hast nie eine Andeutung gemacht.«
Sie war mit einem Sprung an der Tür. Ihr Gesicht wirkte blaß. »Warum hast du denn nie etwas gesagt?« flüsterte sie.
In dem bebenden Schweigen fiel ihm nur eine einzige, nämlich die wahre Antwort ein. »Weil – ich Angst vor Frauen habe. Ich versuche es zu verbergen, aber Frauen erschrecken mich.«
Sie sah ihn mit einem Ausdruck absoluter Ungläubigkeit an. »Aber du bist so – gewandt und ...«
»Ich bin eine verfluchte Niete, Wilma. Ich renne jedesmal davon wie ein Hase.«
Sie biß sich auf die Lippen. »Ich – ich hatte nicht viele Chancen, davonzurennen. Aber ich habe es auch so wie du gemacht. Immer davongelaufen. Nur – bei dir kann ich es einfach nicht verstehen.«
»Du bist der erste Mensch, dem ich mich anvertraue.«
Plötzlich begann sie wieder zu lachen, aber diesmal konnte er nicht mitlachen. Er hörte zu, wie sich ihre Stimme zur Hysterie steigerte.
»Nein!« sagte er. »Bitte nicht wieder!«
Sie rannte hinaus und schlug die Tür zu. Er hörte, wie sie im Bad rumorte, als sei eine mittlere Rinderherde ausgebrochen und stampfte nun durch Sumpfland.
»Wilma!« rief er.
»Gleich«, erwiderte sie mit schluchzender Stimme.
Er zog die Golduhr heraus, sah durch das kleine Teleskop und zuckte zusammen. Während er das verschnörkelte Monogramm auf dem Deckel betrachtete, öffnete sich die Tür.
»Er hat sie immer bei sich gehabt«, sagte Wilma. »Immer.«
»Ich werde mir eine Weste für das Ding schneidern lassen.«
Sie stand hinter ihm, und plötzlich schwamm er in einer Wolke von Parfüm. »Manchmal sah er durch das kleine Teleskop, und dann lachte er.«
»Das glaube ich.«
Sie kam um den Stuhl herum, in einem weiten Bogen, so daß er sie genau ansehen konnte. Er wollte schlucken, aber nicht einmal das gelang ihm. »Ich habe es vor zwei Jahren gekauft und erst ein einzigesmal anprobiert«, flüsterte sie heiser.
Sie hatte ihr braunes Haar gebürstet, bis es glänzte, und zum erstenmal sah er den rötlichen Schimmer darin. Sie stand da wie ein Rekrut, der eben wegen seiner schlechten Haltung ausgesondert worden war. Sie zitterte nicht. Sie vibrierte in einem so schnellen Rhythmus, daß das Auge nicht folgen konnte. Er hatte das Gefühl, daß sie jeden Moment in knisternden Flammen und rauchender Isolation aufgehen würde.
Kirby würgte. Sie trug ein Gewand, dessen Zweck kaum zu erraten war. Eine schwarze Spitzenkrause lag um den Hals. Zwei ähnliche Krausen zierten die Handgelenke. Eine vierte Krause umgab ihre Hüften, war aber etwas zu weit. Diese Krausen wurden von einer hauchdünnen Substanz zusammengehalten, die an Ruß auf der Windschutzscheibe erinnerte. Und über all dem saß das rosa, verweinte Gesicht.
Eine Zehntel Sekunde
Weitere Kostenlose Bücher