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Flucht in die rote Welt

Flucht in die rote Welt

Titel: Flucht in die rote Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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Helligkeit der echten Welt kehrten zurück. Kirby verstellte rasch den Zeiger und ließ sich noch einmal zurück in die rote Welt gleiten.
    Wie hatte Onkel Omar das viele Geld angehäuft, wenn er immer ethisch handelte? Und dann erkannte er, daß das gar nicht so schwer war, wenn man sich im Börsengeschäft auskannte. Onkel Omar konnte in der roten Welt alle nötigen Papiere durchschnüffeln und besaß dadurch so etwas wie einen sechsten Sinn. Und wenn erst einmal Geld vorhanden war, vermehrte es sich rasch.
    Aber warum hatte Onkel Omar die Uhr nicht mit ins Grab genommen, wenn er wußte, was für eine Gefahr sie darstellte?
    Vielleicht aus einer Art Egoismus heraus. Jemand mußte Bescheid wissen. Und vor langer Zeit hatte Onkel Omar seinen Neffen Kirby als Nachfolger ausgewählt. Er hatte ihm die richtige Ausbildung zuteil werden lassen, so daß er die Uhr mit Überlegung benutzen konnte. Soziologie, Psychologie, Philosophie, alte Geschichte, vergleichende Religionen, Ethik und Logik, Anthropologie, Archäologie, Sprachen, Semantik und Ästhetik. Und dann elf Jahre Praxis, in denen Zurückhaltung, Wurzellosigkeit und Heimlichkeit zu seiner zweiten Natur geworden waren.
    Er spürte jetzt, daß es die ideale Erziehung gewesen war. Der neue Besitzer der Uhr konnte sie zum Wohl der Menschheit einsetzen.
    Aber weshalb hatte ihm dann Onkel Omar die Lage nicht schon vor langer Zeit erklärt? Weil er ihn für einen Schwächling, für einen Einfaltspinsel gehalten hatte. Und dann, nach dem ersten Herzanfall, hatte sich Onkel Omar auf den Tod vorbereitet. Zuerst sollte sein Neffe die Uhr bekommen – und ein Jahr später den Brief. Er wußte, daß der Brief sich auf die Uhr beziehen würde. Was wäre geschehen, wenn er das Dokument in einer Schublade vergessen hätte? Was wäre geschehen, wenn er selbst irgendwo in einem Auto oder in einer Eisenbahn mit dem silbernen Zeiger gespielt hätte? Der Aufprall beim Übertritt in die rote Welt hätte ihn zermalmt. Weshalb hatte Onkel Omar alles so eingerichtet, daß er und Miß Farnham unmittelbar nach seinem Tod in die größten Schwierigkeiten gelangten? Ganz bestimmt hatte sich Onkel Omar ausrechnen können, was sich abspielen würde.
    Es schien alles zu einem Test zu gehören, aber er konnte noch keinen Zusammenhang erkennen.
    Zum erstenmal untersuchte er die Uhr genauer. Die verschnörkelten Initialen OLK waren verschliffen. In der Nähe des Aufziehrädchens befand sich ein Häkchen, mit dem man den Deckel öffnen konnte. Er zögerte, doch dann drückte er mit dem Daumennagel dagegen. Im Innern befand sich ein zweites Gehäuse aus glattem, grauem Metall, das man nicht öffnen konnte. Auf der Innenseite des Golddeckels waren einige verschnörkelte lateinische Worte eingraviert. Er entzifferte sie mühsam. »Die Zeit wartet auf den Menschen.« Das war der echte Humor von Omar Krepps. Kirby verschloß die Uhr. Er überlegte, welche Energiequelle sie wohl in Gang hielt. Die Verzerrungen von Zeit, Raum und Energie konnten sicher nur durch enormen Kraftverbrauch erreicht werden. Er hielt die Uhr ans Ohr und glaubte wieder das feine Singen zu hören. Und er fragte sich, wie lange die Energie im Innern anhalten würde. Aber das stand vielleicht in dem Brief.
    Was nun? Wenn er die Uhr sorgfältig und planmäßig einsetzte, konnte er um die Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden, herumkommen. Aber er mußte so vorgehen, daß das Interesse der Öffentlichkeit abflaute und nicht zunahm. Berühmtheit – das hatte Onkel Omar schon früh erkannt – würde sein Leben unmöglich machen. Verrückte, Ungeheuer, Gauner, Fanatiker und Reporter würden ihn heimsuchen.
    Er wußte, daß der Anfang alles andere als gut gewesen war. Als er die Uhr in Bonny Lees Hände gab, hatte er unabsichtlich die ihm auferlegte Verantwortung mißbraucht.
    Wieder waren fünf Minuten übrig. Er sah Bonny Lee an, und mit einemmal war wieder das Verlangen da, heftig wie ein elektrischer Stromschlag. Er ging zu ihr hinüber, beugte sich zu ihr herunter und drückte auf das Rädchen. Die Welt wurde normal. Bonny Lees Lippen waren weich und warm. Sie zuckte zusammen und schrie ein wenig auf.
    »Das war hinterhältig«, flüsterte sie. »Daran werde ich mich nie gewöhnen, Freund.«
    Sie wischte sich die Finger an einem Stück Zellstoff ab und ging ins andere Zimmer, wo sie die Eingangstür fest verriegelte. Als sie zurückkam, küßte sie ihn leicht aufs Kinn und gähnte ausgiebig. »Ich bin völlig fertig, Kirby«, sagte

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