Flucht in die rote Welt
aber du kannst jetzt nachkommen. Der Hintereingang ist offen. Bring den Wagen mit und parke ihn so, daß wir gleich starten können.«
»In Ordnung.«
Wieder stapfte er durch die stille rote Welt. Wilma war inzwischen zwei Schritte näher an die beiden Mumien herangetreten und vertropfte immer noch ihren Drink. Kirby tauchte ein Stück hinter ihr auf und rief leise: »Wilma!«
Sie drehte sich unsicher um und starrte ihn an. Sie gab ihrer Brille einen Schubs und sagte: »Das darf doch nicht wahr sein! S-sir Lance-lot, wie er leibt und lebt!«
»Bist du betrunken?«
Sie schwankte grinsend auf ihn zu. »Na klar, du schlauer Vogel, du. Da arbeitet m-man sein Leben lang s-selbstlos und wie ein Tier, und was kriegt man, was? Die Polypen auf'n Hals. Und diese Bessy, die mich unmögliches Zeug fragt. Der alte Omar ist mau-se-tot, ich habe keinen Job, und mein Bruderherz kriegt'n Magengeschwür, weil s-sein Name öffentlich genannt wird. Und du – was machst du?« Er hörte den Sunbeam näher kommen. »Du läufst davon!«
Sie zog sich ein paar Schritte zurück. »Und dann kommen zwei Matrosen, und ich denke, es ist um meine Un-schuld gescheh'n, und was tun sie? Spielen Kar-ten. 'türlich bin ich betrunken, zum erstenmal im Leben.« Sie strahlte ihn an. »Und es is' schön!« Sie wandte sich den stöhnenden, eingewickelten Paketen zu. »Was is'n nu mit René und Raoul los?« fragte sie weinerlich.
Bonny Lee kam herein und starrte Wilma an. Wilma drehte sich um und blinzelte kurzsichtig zu Bonny Lee hinüber. »Wer bist'n du, schönes Mädchen?«
»Puh!« sagte Bonny Lee. »Als ich das Bild sah, hätte ich Sie für 'ne Sonntagsschullehrerin gehalten. Tut mir leid, daß ich Sie verkannt habe, Gnädigste.«
Wilma nahm sich zusammen und sprach deutlicher. »Ich bin auch mehr der in-tel-lektuelle Typ.«
Bonny Lee seufzte. »Du willst wahrscheinlich mit ihr reden, was, Liebling?«
»Wenn es geht.«
»Wer steckt denn in den Paketen?«
»René und Raoul, zwei tapfere Seefahrer.«
»Sieht so aus, als würde die Verschnürung halten. Suche mal nach, ob es Kaffee in der Küche gibt.« Bonny Lee ging auf Wilma zu, und man hatte den Eindruck, als würde sie jeden Moment die Ärmel hochkrempeln und sich in die Hände spucken. Sie schob die protestierende Wilma aus dem Zimmer.
Kirby entdeckte lediglich Schnellkaffee einer unbekannten Marke. Aber er sah dunkel aus und roch stark, und auf der Verpackung stand nirgends »Koffeinfrei«. Irgendwo im Haus hörte man Wilma kreischen und Badewasser rauschen. Er ging zurück und untersuchte noch einmal Renés und Raouls Fesseln. Die beiden knurrten wütend. Er konnte es ihnen nicht verübeln. In den Bettüchern war es sicher zum Ersticken heiß.
Er füllte einen riesigen Steinguttopf mit dem starken, dampfenden Kaffee und trug ihn ins Schlafzimmer. Die Badezimmertür stand halb offen. Wilmas und Bonny Lees Kleider lagen auf dem Bett. Er stellte den Topf auf das Nachtkästchen und ging. Bonny Lee schien Siegerin zu bleiben. Er hörte nur das Rauschen der Dusche und hin und wieder ein zaghaftes Wimmern. Er ging ans Bücherregal und sah sich die Bände an. Professor Wellerly hatte sich offensichtlich Bücher aus jedem Fachgebiet besorgt, wenn der Titel nur langweilig klang.
»Kirby, Liebling!« rief Bonny Lee. Er ging ins Schlafzimmer. Bonny Lee hatte sich wieder angezogen. Wilma hatte sich in einen Herren-Bademantel gewickelt und saß in einer Ecke des Bettes.
»Nun trink mal den schönen Kaffee, Liebes«, befahl Bonny Lee.
»Nein, danke«, erwiderte Wilma mit leiser Stimme. »Ich will doch nicht krank werden.«
»Trink den schönen Kaffee, oder ich halte dich noch einmal unter die Dusche und reibe dich mit der harten Bürste ab.«
Wilma zuckte zusammen und trank brav ihren Kaffee.
»Schlecht ist sie nicht«, meinte Bonny Lee. »Ihre Figur ist sogar gut.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber die Drahtbrille und die Heilsarmee-Kleider und diese schreckliche Frisur ...«
»Ich habe diese billigen bunten Fetzen nicht nötig«, erklärte Wilma eisig.
»Wenn du eine große Lippe riskierst, zerstampfe ich deine Brille am Boden, Liebes. Da stehen alle Männer der Welt in einem Riesen-Nasch-Schaufenster, und du traust dich nicht in den Laden. Hat schon mal ein Kerl hinter dir hergepfiffen? Oder dich ins Hinterteil gezwickt?«
»Nein, Gott sei Dank.«
»Bilde dir nichts ein, Liebes. Ich würde dir grüne Kontaktlinsen verpassen, dich à la Kleopatra schminken und dir ein Kleid anziehen,
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