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Flucht in die rote Welt

Flucht in die rote Welt

Titel: Flucht in die rote Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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Oberkörper an die Rückenlehne. Kirby erkannte, daß er ziemlich wenig erreicht hatte, auch wenn er nicht mehr so verkrampft dasaß. Sein rechter Arm war frei, aber er konnte ihn nicht einfach in die Hosentasche stecken und die Uhr betätigen. Außerdem würde er in der roten Welt ebenso hilflos sein wie hier. Er wußte, daß der Strick die Härte eines Stahlseiles annehmen würde.
    »Du brauchst nur eine freie Hand«, sagt René. Er legte zweihundert Dollar vor Kirby hin. »Du schuldest mir zweihundert, Kumpel.«
    »Willst du es schriftlich?«
    »Ich sorge schon dafür, daß du dich erinnerst.«
    »Schreiben wir es lieber auf, wie es sich gehört. Hast du ein Stück Papier? Ich glaube, ich habe einen Füller bei mir.« Seine Hand fuhr in die Hosentasche.
    »Halt!« schrie René.
    Seine Finger berührten das Rädchen und drückten es nach innen. Die Welt wurde rot. Die beiden Seeleute starrten ihn an. Er legte die goldene Uhr auf den Tisch und versuchte die Fesseln an seinem linken Arm zu lösen. Die Knoten rührten sich nicht. Der silberne Zeiger bewegte sich. Die beiden goldenen Zeiger waren auf dreiviertel sechs stehengeblieben.
    Er wußte, daß er sich auf eine bessere Gelegenheit vorbereiten mußte, aber er hatte keine Ahnung, wie er es bewerkstelligen sollte. Die Uhr – er mußte sie an einen günstigeren Platz bringen.
    Und dann kam ihm ein Gedanke. Er schob sie so unter seine Hüfte, daß das Rädchen herausstand. Dann drückte er auf den Knopf und war wieder in der echten Welt.
    »Ich dachte, ich hätte Schreibzeug mit«, sagte er und zog langsam die Hand aus der Tasche. »War ein Irrtum.«
    »Wir brauchen nichts Schriftliches. Faß nicht mehr in die Tasche«, knurrte René.
    »Er hat nichts bei sich«, sagte Raoul.
    »Der Kerl mit der Rasierklinge im Hut hatte auch nichts bei sich, und er hat dich doch ganz schön zerschnitten.«
    »Schnauze. Gib lieber.«
    Raoul verlor ständig. Er war der ewige Optimist, der sich damit tröstete, daß der letzte Stich alles gutmachen würde.
    »Dein Freund hat sehr viel Glück«, sagte Kirby zu Raoul.
    »Gib.«
    Kirby fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Und er hat schnelle Hände.«
    Raoul spannte sich an. Er beugte sich zu René und redete so rasch auf ihn ein, daß Kirby kein Wort verstand. Kirby senkte die Hand unauffällig zur Uhr. Raoul hatte seine Warnung beendet, und um sie zu unterstreichen, legte er das Messer neben sich auf den Tisch.
    Während René seine Unschuld beteuerte, drückte Kirby auf das Uhrenrädchen. Er beugte sich so weit wie möglich vor, aber er konnte das Messer nicht erreichen. Er nahm eine Karte ganz am Rand und streckte sie aus. Sie berührte das Messer. Millimeter um Millimeter rollte er das Messer zu sich heran. Endlich konnte er es mit den Fingerspitzen erreichen. Er ließ die Karte los, und sie schwebte in der Luft. Dann nahm er das Messer und schob es zwischen seinen Arm und die Schnur. Er gab dem Messer einen Ruck nach oben, drückte auf die Uhr und stellte sie sofort wieder zurück, als der silberne Zeiger die Zwölf erreicht hatte. In dem winzigen Augenblick der Realität hörte er einen lauten Fluch von René. Dann war er wieder in der roten Welt. Das Messer schwebte einen halben Meter über seinem Kopf. Die Wäscheleine war durchtrennt. Kirby machte seinen linken Arm frei. Er legte die Uhr auf den Tisch und bewegte die Muskeln, bis das Blut wieder zirkulierte. Dann löste er vorsichtig die Schlinge um seinen Oberkörper. Er stand auf und holte sich das Messer. Dann wandte er das gleiche Verfahren bei seinen Beinfesseln an. Bevor er sich in die echte Welt zurückbegab, warf er Raoul und René einen Blick zu. Sie sahen ihn an, und in ihren Mienen zeigte sich leichtes Erstaunen.
    Er arbeitete noch rascher als beim erstenmal. Diesmal blieb das Messer in Augenhöhe hängen. Er stand auf und spürte die vertraute Schwerkraft. Mühsam zog er die Schuhe aus und wanderte im Zimmer umher. Zu beiden Seiten des Kamins stand ein Blumentopf. Die Gewächse darin waren längst verdorrt. Kirby nahm die Töpfe und plazierte sie nach reichlicher Überlegung fünfzehn Zentimeter über den Köpfen der Matrosen.
    Es hatte wenig Sinn, plötzlich zu verschwinden, vor allem nicht, wenn es zwei Augenzeugen gab. Also setzte er sich wieder in den Stuhl und zog die Schuhe an. Er ließ den Zeiger auf zwölf Uhr schnellen. Die Karte flatterte auf den Tisch. Das Messer landete in der Balkendecke über ihm. Die beiden Blumentöpfe bumsten nach unten.

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