Flucht in die rote Welt
René fiel schlaff auf die Couch. Raoul kippte langsam nach vorn, bis er mit der Stirn auf der Tischplatte lag.
Sobald Kirby sich davon überzeugt hatte, daß die beiden atmeten, fesselte er sie in der Art und Weise, die sie ihm eben beigebracht hatten. Da er befürchten mußte, daß sie einander beim Lösen der Fesseln helfen würden, band er ihre Stühle außerdem am Kamin beziehungsweise am Fensterriegel fest.
Wilma trug immer noch den riesigen Morgenmantel. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett und schnarchte rhythmisch. Nachdem er sie zehn Minuten lang gerüttelt, gestoßen und geschüttelt hatte, gab er die Hoffnung auf, sie je aufwecken zu können. Sie war und blieb eine schlaffe Puppe, und das Schlimmste an der Sache war, daß sie zu lächeln schien.
Doch ihm war klar, daß er sie aus dem Haus bringen mußte. Er hatte bereits mehr Geiseln aus der Hand gegeben, als er sich leisten konnte. Er zog Wilma an und bemühte sich, sie nicht mehr als nötig anzustarren. Bis sie endlich in ihrer derben, hausbackenen Wäsche steckte, lief Kirby der Schweiß von der Stirn.
Nach einigen Versuchen, das widerspenstige Haar zu frisieren, durchwühlte er die Schubladen, bis er ein buntes Tuch fand. Er band es ihr um. Jemand war auf ihre Brille getreten und hatte sie völlig zermalmt.
Dann ging er zu René und holte ihm das Geld aus der Tasche. René öffnete langsam die Augen, zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.
»Wie zum Teufel hast du das geschafft?« fragte er schwach.
»Ich hatte Hilfe.«
René schloß die Augen. »Die scheinst du immer im rechten Augenblick zu bekommen.«
Kirby fand das restliche Geld und die Schlüssel des Mietwagens in Raouls Taschen. Raoul schlief immer noch. Kirby fühlte ihm besorgt den Puls, aber er ging langsam und regelmäßig.
Dann kehrte er ins Schlafzimmer zurück und hievte sich Wilma auf die Schulter.
»Mrs. O'Rourke wird wütend sein«, sagte René.
»Meine Freunde haben Sie überfallen. Was hätten Sie dagegen tun können?«
»Ihr fällt sicher eine Antwort auf diese Frage ein.«
Er legte Wilma auf den Boden des Mietwagens. Dann fuhr er den Sunbeam aus dem Weg und stieg selbst in den Mietwagen. Er setzte sich die Sonnenbrille und die Baseball-Mütze auf und fuhr los. Er jagte nach Osten und hielt am erstbesten Motel an.
Ein alter Mann stand am Empfangsschalter. Er hatte ein Zimmer im Parterre frei.
»Sie und die Madam, ja?« Er sah an Kirby vorbei. »Wo ist sie?«
»Schläft hinten im Wagen.«
Kirby unterschrieb und bezahlte für eine Nacht.
Er fuhr in den Parkplatz und holte Wilma aus dem Wagen. Er faßte sie hart unter den Schulter und schleppte sie zum Hotel. Das hieß, er wollte es tun. Plötzlich stand der alte Mann neben ihm. »Madam ist wohl sehr müde, Mister? Es fehlt ihr doch nichts?«
»Nein, nein. Sie schläft immer so tief.«
»Also, krumme Sachen dulde ich in meinem Haus nicht. Wo haben Sie Ihr Gepäck, Mister?«
»Hinten.«
»Darf ich es sehen?«
»Ich möchte sie zuerst hineinbringen.«
»Setzen Sie sie lieber hin. Wenn Sie nämlich kein Gepäck haben, können Sie gleich weiterfahren.«
Kirby drückte Wilma in den Sitz. Er mußte zugeben, daß ihr Anblick nicht vertrauenerweckend war. Sie wirkte berauscht, und sie war es.
Er ging zum Kofferraum und sperrte ihn auf. Gleichzeitig drückte er auf das Rädchen der Uhr. Zehn Meter entfernt lud ein Mann seine Koffer aus. Er stellte sie der Reihe nach auf das Pflaster. Kirby ging hinüber und holte sich zwei kleinere Taschen. Er stellte sie in seinen Kofferraum und begab sich zurück in die normale Welt.
»Ich bestehe darauf, daß meine Gäste Gepäck haben«, meinte der Alte entschuldigend.
»Natürlich«, sagte Kirby und hob Wilma hoch. Sie legte ihm die Arme um den Hals.
»So müde«, murmelte sie. »Soo müde.«
Der alte Mann trug die Taschen nach drinnen. Kirby legte Wilma auf das Bett, wo sie sofort zu schnarchen begann.
»Na, die schläft wirklich fest«, sagte der Alte.
Nachdem er fort war, versetzte sich Kirby sofort wieder in die rote Welt und brachte die Taschen zurück. Der Fremde stand perplex am Randstein und zählte immer wieder sein Gepäck. Kirby stellte die fehlenden Sachen hinter ihm ab und ging zurück in das Zimmer. Als er den Zeiger auf die Zwölf stellte, fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. Er schrieb eine kurze Notiz für Wilma. »Du bist hier sicher. Ich komme zurück, sobald es mir möglich ist. Verlasse unter keinen Umständen dein Zimmer und telefoniere
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