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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Harry, nur um etwas zu sagen.
    »Ja, aber war ’n Schnacker«, gab Peter zu bedenken.
    Wirt Fred und den Strandkorbwärter interessierte vor allem, auf welchem der Barhocker Kieseritzky vor zwei Tagen gesessen hatte.
    Irgendwann kam Freds Frau aus der Küche und sagte: »Ist doch egal.«
    |210| Die beiden Typen waren wirklich hinüber, dachte Harry. Über den Stand der Ermittlungen würde er hier nichts mehr erfahren. Stattdessen fingen sie an, ihn auszufragen.
    »Ihr seid doch neulich mit Heinz los?«, wollte Peter wissen.
    »Heinz?« Harry tat ahnungslos.
    »Na, Heinz!«
    »Sitzt normal da. Neben dir.« Fred deutete auf den leeren Barhocker neben Harry.
    »Ihr seid doch zusammen raus.«
    »Nee, wirklich nicht.«
    »Der ist nämlich weg, seit er hier raus ist.« Und als könne er dieser Feststellung damit Nachdruck verleihen, stupste Fred den Zapfhebel lässig zur Seite und ließ Bier in ein leeres Glas schäumen.
    »Weiß ich auch nicht«, sagte Harry.
    Er ging pinkeln. Dabei wunderte er sich, wie vertraut ihm die schmutzig gelben Fliesen mit den verwaschenen Sprüchen über dem Pissoir schon waren. Ihm war, als hörte er die Klotür und als stände der Fährmann gleich wieder neben ihm.
    Er trank sein kleines Pils aus und zahlte.
    »Eine Frage noch«, setzte der Strandkorbwärter noch einmal an. Harry befürchtete schon, dass er wieder auf Kieseritzky und den Fährmann zu sprechen kommen würde.
    »Wer von euch hat neulich eigentlich diesen Titel in der Musikbox gedrückt?«

|211| 17
    Harry war froh, als er raus war aus dem »Klabautermann«. Draußen war eine klare Nacht. Um in die Pension zurückzufahren, war es zu früh. Die einzige andere Kneipe, wo man auf Amrum nach zehn noch ein Bier bekam, war die »Blaue Maus«. Und wollte der blonde Feger im Leopardenshirt von Kiesos Vernissage in der Mühle, das Mädchen vom Fenster gegenüber, ihm nicht einen ausgeben?
    Er radelte durch die sternenklare Nacht über Süddorf nach Wittdün. Den Fahrtwind empfand er als angenehm kühl auf seinem leicht fiebrigen Gesicht. Der Leuchtturm warf unermüdlich seine kreisenden Lichtkegel durch die Dunkelheit über die ganze Insel, sodass Harry alle paar Sekunden geblendet wurde. Zwischendurch leuchteten über ihm der Mond und die Sterne. Während der Fahrt stülpte er sich den Rollkragen seines Pullovers bis über die Nase.
    Die »Blaue Maus« war unverändert, seit Harry sie kannte: die geklinkerten runden Bögen im Gang, von dem eine kleine Sitznische abging. Die mit allerlei Kram voll gehängte Decke, einem verstaubten Krokodil, einem Holzruder und Autokennzeichen aus aller Herren Länder. Mit seiner Großmutter war er noch nicht in der »Blauen Maus« gewesen, aber vor ein paar Jahren während des Studiums, als er mit Freunden in den Dünen gezeltet hatte, mehrfach.
    Auch die Gäste hatten sich nicht verändert. Eine überschminkte Sprechstundenhilfe mit nach hinten geföhnter Dauerwelle flirtete an der Theke betont neckisch |212| mit zwei Typen in karierten Holzfällerhemden. Die Regale hinter dem Tresen waren weitaus besser bestückt als die im »Klabautermann«. Die »Blaue Maus« war bekannt für eine gigantische Auswahl unterschiedlichster Whiskys.
    Anke hatte Tresendienst und trug tatsächlich wieder ihr Leopardenshirt. Aber wie Wilma Feuerstein sah sie heute Abend nicht aus, fand Harry. Sie winkte ihn sofort zu sich heran und wies ihm unmissverständlich einen Platz bei sich am Tresen zu. Zum Aufwärmen schenkte sie ihm einen fünfzehnjährigen Glenfiddich in ein breites Whiskyglas.
    »Schokoladenaroma, seidiger Körper und fruchtiger Abgang«, sagte sie und grinste dabei anzüglich.
    Aus der Anlage, die unterhalb der Flaschen im Regal stand, kam ›Creedence Clearwater Revival‹. Die Leuchtdioden zuckten im Rhythmus, sodass Harry immer wieder auf das Bord gucken musste. Der Typ in dem Holzfällerhemd trommelte leicht daneben den Takt von ›Hey Tonight‹ auf dem Tresen mit.
    »Schokolade?«, sagte Harry. »Na, wenn du meinst.«
    »Gonna be tonight   ... «, sang Wilma Feuerstein. Sie wiegte sich mit den Schultern, sodass der einzelne Träger herunterglitt, was das ganze Leopardenshirt wieder gefährlich ins Rutschen brachte. Zu ›Creedence Clearwater Revival‹ wirkte das deutlich lasziver als vorgestern in der Mühle zur Panflöte. Und diesmal zog sie den Träger gar nicht mehr zurück auf die Schulter. Der trommelnde Typ am Tresen guckte und zwinkerte ihm zu. Harry fühlte die wohlige Wärme, die der Whisky

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