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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Kiefernholztisch mit einem Häkeldeckchen stehen Glaskaraffen, Teile eines nicht ganz vollständigen Services, eine Kaffeekanne mit einem Jugendstildekor und ein kleines Schiffsmodell. An den Wänden hängen alte Blechschilder und das dunkelbraune Ölbild eines Seglers in schwerer See, das so gar nicht in die sommerliche Stimmung passt.
    »Gehören Sie zu dem Laden?«, fragt Harry die Frau mit den grau gelockten Haaren, die gerade aus dem Nebenhaus kommt.
    »Ja«, sagt sie nur und guckt abwartend.
    »Wir würden gern einen Blick auf ein Bild werfen, das Sie haben sollen.«
    »Ja, Mittwoch, fünfzehn bis siebzehn Uhr.«
    »Wir haben es gelesen. Wäre es vielleicht möglich, jetzt kurz das Bild anzuschauen? Es sind diese ›Öömrangen‹ in Tracht.«
    »Jetzt hab ich nich offen.«
    Die Ladenbesitzerin mit hundert farbigen Kämmen im Haar und dem apathischen Blick geht Harry gehörig auf die Nerven.
    »Haben Sie das Bild, ich glaube, es sind drei Amrumerinnen in Tracht.«
    »Ja, kann sein.«
    |201| Harry muss sich beherrschen, nicht weiter zu insistieren. Er will die Lady bei Laune halten.
    »Ich muss jetzt aufs Festland zum Arzt«, sagt sie und verschwindet wieder in dem Nachbarhaus.
    Harry ist stocksauer. »Ich steig bei der blöden Tusse einfach ein«, zischt er Zoe zu. »Da bin ich doch sofort drin und hab mich in ein paar Minuten umgesehen. Die Bude ist doch überhaupt nicht gesichert.«
    »Glaubst du?« Zoe scheint kurz zu überlegen.
    »Und wenn der Nolde noch da ist, kann ich ihn sofort mitnehmen, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpft.«
    Zoe streicht ihm die Haartolle ins Gesicht. Über ihre Sonnenbrille hinweg blinzelt sie Harry zu – als hätte sie nicht übel Lust auf einen kleinen Einbruch im Urlaub zwischendurch.

16
    Eigentlich wollte er sich in seinem Zimmer nur für einen Moment hinlegen. Frau Boysen hatte ihm einen Anrufvon Maja ausgerichtet – unter Protest. Dass sie für ihre Pensionsgäste Anrufe entgegennahm, war in der »Nordseeperle« offenbar ganz und gar unüblich. »Was ist hier nur los, Herr Räh-rähr.« Jetzt war ihr sein Name schon wieder entfallen. Auch gut, dachte Harry.
    Maja wollte gegen fünf in Wittdün am Anleger sein. Er sollte auf jeden Fall hinfahren, überlegte er, trotz |202| des beruhigenden Telefonats vorhin. Maja wusste von dem Bilderdiebstahl, und er wollte sicher sein, dass sie ihr Wissen bei sich behielt. Deshalb wäre es wohl gut, wenn er sie in Wittdün jetzt nicht allein ließe. Wenn ihm nur die Identifizierung von Kieseritzkys Leiche erspart bliebe. Was die Schiffsschraube der »Elsa« angerichtet hatte, wollte er wirklich nicht so genau wissen.
    Die an den Hosenbeinen immer noch klamme Jeans und auch seinen Anorak hängte er noch einmal über die Heizung. Dann zog er sich fröstelnd das gewaltige Federbett bis unter seine laufende Nase. Sein Kopf war heiß, die Füße eiskalt. Er war sofort eingeschlafen. Er schlief tief und traumlos, über ihm die ›Öömrang wüfen‹ und dahinter versteckt seine ›Feriengäste‹.
    Fast zwei Stunden war er weg gewesen, wie betäubt. Der Shantychor hatte Ruhe gegeben. Danach fühlte er sich trotzdem nicht unbedingt besser. Ganz im Gegenteil. Er hatte Kopf- und Gliederschmerzen, die Nase lief ununterbrochen und das unangenehme Kratzen im Hals ging auf die Bronchien über. Harry starrte auf die Fachwerktapete und wäre fast wieder eingeschlafen. Aber als er dann doch kurz auf die Uhr auf seinem Nachttisch sah, war er sofort hellwach. Kurz vor fünf. In ein paar Minuten wollte er Maja in Wittdün treffen. Er schüttete sich über dem Zimmerwaschbecken kaltes Wasser ins Gesicht, das gerötet und verquollen war. Er sah nicht so tot aus wie letzte Nacht im Schein der Neonröhre. Aber viel besser auch nicht, fand Harry.
    |203| Der Anleger in Wittdün war menschenleer. Der Fährverkehr nach Wyk und Dagebüll war schließlich eingestellt. Aber vor der Halle mitten auf dem Anlegergelände standen mehrere Autos, unter anderem auch der rote »Scorpio« des Kieler Kommissars. Er war nicht besonders scharf darauf, ihm schon wieder über den Weg zu laufen. Aber das ließ sich jetzt nicht vermeiden. Aus der Halle kam der Dorfpolizist Hark Tadsen zusammen mit einem kleinen Dicken in einem Overall. Auf der Laderampe blieben sie stehen.
    »Ihr könnt mir den Lagerraum nicht tagelang blockieren«, schimpfte der Dicke. »Ich krieg hier morgen, falls die Fähre fährt, zwei Polstergarnituren vom Festland angeliefert.«
    »Horst, wie stellst du

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