Flucht übers Watt
dir das vor?«, gab Tadsen zu bedenken. »Ich kann den Verstorbenen schlecht mit zu mir ins ›Haus des Gastes‹ nehmen.«
Er sprach ohnehin schon etwas schleppend. Aber das Wort »Verstorbener« betonte er dabei besonders deutlich.
»Ja, bei mir auf’m Dreisitzer kann er auch nich überwintern.« Der Kleine in dem blauen Overall hatte einen ähnlich roten Kopf wie der Fährmann.
»Stellst deine Sofas erst mal daneben. Wo ist dat Problem?« Hark Tadsen war die Ruhe selbst.
»Ja, dat geht aber nebeneinander nich hin. Und wenn ich das stapel, dann ist euer Toter erst mal zugestellt. Wenn ihr da ran wollt, brauch ich gleich wieder ’n zweiten Mann.«
»Horst, das kriegen wir schon hin.«
»Aber nich wieder Freitagabend.« Der Dicke ließ |204| sich umständlich von der Laderampe herunterrutschen.
»Wie Freitagabend?«
»Ach, hör mir doch auf.« Die blaue Kugel machte eine wegwerfende Handbewegung und stieg in seinen gefährlich verrosteten Transporter, auf dem schlecht lesbar »Fuhrunternehmen Horst Schmidt« stand.
Als sich der Lieferwagen mit knatterndem Auspuff in Bewegung setzte, kam Maja aus dem Anlegergebäude heraus. Seehase war bei ihr und Jackie, der Typ von gestern in dem weißen Anzug, heute in Lederjacke, außerdem eine Frau, die Harry ebenfalls auf der Party gesehen hatte.
Der Kommissar nickte ihm zu, verabschiedete sich von Maja mit Handschlag und stieg dann zusammen mit Hark Tadsen in den Ford.
»Nett, dass du gekommen bist, Harry«, sagte Maja leise. Sie hatte rot geränderte Augen. Unter ihrer Bräune wirkte sie auf einmal blass. Ihr Strahlen war wie erloschen.
Sie fiel ihm in die Arme. Und als er sie an sich drückte, hörte er sie schluchzen.
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.
»Geht schon mal vor. Ich komme gleich nach«, sagte sie jetzt wieder mit festerer Stimme zu Jackie und der anderen Frau.
Die beiden guckten ernst und gingen Richtung Anleger. Sie hatten Maja trotz des Sturms offensichtlich mit einem Privatboot von Sylt nach Amrum herübergebracht.
|205| »Harry. Du hättest das sehen müssen.« Sie drückte ihr Gesicht wieder fester an die Schulter seines Anoraks. »So grausam.« Sie schluchzte. »Es war schwierig mit Reinhard in letzter Zeit.«
»Maja, das muss jetzt furchtbar für dich sein.«
»Wir haben uns nur noch gestritten und standen kurz vor der Trennung. Aber als ich ihn jetzt so liegen sah ... ach, es war schrecklich. Die eine Seite seines Kopfes. Harry, da war nichts mehr zu erkennen.« Sie sah ihn an. Ihre Wimperntusche war vollkommen verwischt.
»Ich muss jetzt einfach heulen, obwohl: Er hat sich so beschissen benommen in letzter Zeit. Auch was er über dich gesagt hat gestern.«
»Was meinst du?«
»Das ist jetzt egal. Er hat irgendwie alles runtergemacht, weil er selbst nichts mehr auf die Reihe bekommen hat. Kein einziges blödes Bild hat er mehr zustande gebracht.«
»Außer seinen Leuchttürmen.«
»Was meinst du, wer die gemalt hat?«
»Wie? – Du? Echt?«
Maja hatte sich wieder gefasst. Sie wischte sich mit dem Finger die verlaufene Schminke vom unteren Augenlid und sah sich danach prüfend auf den Finger.
»Aber, Harry, du siehst auch schlecht aus.«
»Ich hab mir ’ne richtige Erkältung aufgesackt.«
»Zu stürmisch gewesen? Die Party gestern?« Sie versuchte ein schiefes Grinsen.
»Maja«, sagte Harry ernst, »dieser Kommissar, mit |206| dem du eben rausgekommen bist, hat mich vorhin verhört – wegen Reinhard, nicht wegen der Bilder. Aber ich hab trotzdem kein gutes Gefühl dabei.«
»Auf mich kannst du dich verlassen.«
»Trotzdem sollte ich hier demnächst mal abhauen, glaube ich. Sobald die Fähren wieder fahren, bin ich hier weg.«
»Harry, wie gesagt, von mir erfahren die nichts.«
»Ich melde mich bald bei dir.«
Maja küsste ihn. Erst auf die Wange, dann auf den Mund und noch mal. Fast hätten sie sich richtig geküsst, wie gestern Nacht. Aber das ließen sie.
»Die warten«, sagte sie und ging zu der Treppe an dem Anleger für die kleineren Boote. Auf halbem Weg drehte sie sich noch mal um. Sie winkte ihm flüchtig zu, ohne den Arm zu heben.
Der »Klabautermann« kam ihm diesmal noch enger vor. Dabei war die Kneipe fast leer. Strandkorb-Peter war der einzige Gast. Er schien Teil der Dekoration wie das Haifischgebiss und der getrocknete Hornhecht in dem Fischernetz. Hinterm Tresen stand Wirt Fred. Harry setzte sich zwei Barhocker von dem Strandkorbwärter entfernt an die Theke.
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