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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Phantombild beschäftigt, dass er den roten Ford von Kommissar Seehase, der im Schritttempo durch Nebel schlich, fast nicht gesehen hätte. Der Kopf mit der Prinz-Heinrich-Mütze guckte grade eben hinter dem Steuer hervor. Der kleinste Kommissar Norddeutschlands sah reichlich verloren aus in dem großen Auto. Sein Kollege, der Nebeler Dorfbulle Hark Tadsen, fuhr in einem älteren VW-»Jetta« mit defektem Auspuff direkt hinter ihm. Ganz im Gegensatz zu dem Kieler Kommissar klemmte sein blonder Kopf mit den roten Wangen direkt unter dem Autodach. Sobald die Straße etwas breiter wurde, überholte Tadsen den »Scorpio« mit aufheulendem Motor und brauste in niedrigem Gang mit ein paar Fehlzündungen Richtung Inselstraße weiter nach Wittdün.
    Harry wartete einen Moment und nahm dann die Parallelstraße, um dem Kommissar nicht zu begegnen. Aber als er dann zwanzig Minuten später die Hauptstraße nach Wittdün hereinkam, um dort nach dem Fährfahrplan zu sehen, verfolgte ihn der »Scorpio« schon wieder. Er fuhr im Fahrradtempo fast neben ihm her. Harry blieb einen Moment stehen und drehte sich weg. Hatte der Kommissar ihn gesehen? Es sah aus, als suchte er den Ort nach irgendeinem Verdächtigen ab.
    Nach wem sollte er schon suchen? Nur nach ihm, nach Harry. Und irgendwie kam es ihm vor, als hätten |236| sich ihre Blicke kurz getroffen. Andererseits schien der kleine Kommissar genug damit zu tun zu haben, seinen burgunderroten Schlitten durch die enge Wittdüner Einkaufsstraße zu manövrieren. Hatte Seehase ihn auf dem Phantombild erkannt? Las er überhaupt die ›Bild‹-Zeitung? Wenn nicht er, dann bestimmt Hark Tadsen.
    Er war so sehr auf den »Scorpio« mit dem Kieler Kennzeichen konzentriert, dass er den Fahrradfahrer hinter sich gar nicht bemerkte. Es war der Oberlehrer aus dem Ruhrpott mit dem gestutzten roten Bart. Verfolgte der Typ ihn etwa schon länger? Nach einem ›Bild‹-Zeitungsleser sah er allerdings nicht unbedingt aus. Aber das musste nichts heißen. Harry blieb noch einmal stehen. Im Vorbeifahren sah der Radfahrer ihn eindringlich an und zeigte kurz seine schlechten Zähne. Nachdem er vorbeigefahren war, drehte er sich noch einmal nach Harry um.
    Er war fest entschlossen, die nächste Fähre am Nachmittag zu nehmen: fünfzehn Uhr fünfundvierzig. In der Bank in Wittdün hob er Geld ab. Er plünderte sein Hamburger Konto, so viel der Überziehungskredit hergab. Fünfzehnhundert Mark zahlte ihm der Schalterbeamte der Amrumer Bank anstandslos aus. Für ein Flugticket nach New York sollte das auf jeden Fall reichen. Jetzt wollte er nur noch seine Bilder holen und Amrum schnellstens verlassen.
    Auf dem Rückweg mied er die große Inselstraße. Auf dem kleinen Sandweg am Watt entlang war er vor dem Kommissar in seinem großen Schlitten sicher, dachte Harry. Doch dann sah er vor dem »Klabautermann |237| « ein anderes Auto stehen: den klapprigen Polizeiwagen von Hark Tadsen. Harry malte sich aus, dass der Nebeler Polizist wahrscheinlich gerade den Wirt Fred oder den Strandkorbwärter verhörte. Bestimmt erzählten sie ihm, wie er mit dem Fährmann aneinandergeraten war. Jetzt hatten sie ihn. Ganz allmählich, aber unausweichlich schienen sie ihn einzukreisen. Nach Wittdün umdrehen wollte er auch nicht. Also fuhr er zügig, ohne einen Blick zur Seite zu werfen, an der Kneipe vorbei. In der Post in Nebel kaufte er noch Marken für einen Luftpostbrief und im Zeitungsladen einen DIN-A 4-Umschlag aus Plastik. Inzwischen bediente die Besitzerin ihn wie einen alten Stammkunden.
     
    Die Eingangstür der »Nordseeperle« stand offen. Er schlich sich so leise er konnte ins Haus. Frau Boysen musste ihn jetzt nicht unbedingt sehen. Aus dem Frühstücksraum kam das übliche Staubsaugergeräusch. Harry stieg unbemerkt die Treppe hinauf. Die Betten in den Zimmern waren schon gemacht, sodass er in Ruhe seine Bilder verstauen könnte, ohne von der Zimmerwirtin gestört zu werden.
    Bevor er sich den hinter den ›Öömrangen‹ versteckten ›Feriengästen‹ widmen wollte, holte er zunächst die Neckermann-Tüte mit den Aquarellen aus dem Schrank. Er nahm den Umschlag mit den ›Ungemalten Bildern‹ aus dem ›Inselboten‹. Harry hatte eine Idee: Er wollte den Briefumschlag mit der New Yorker Adresse beschriften, der Anschrift des Hehlers, an den er sich wegen des Ölbildes wenden wollte. Natürlich |238| wollte er die Bilder möglichst nicht aus der Hand geben. Aber nach dem Phantombild in der Zeitung war er jetzt

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