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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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daß ich morgen um halb neun wieder hier bin, und wenn sie früher kommen, bitten Sie sie, zu warten.«
    »Um halb neun erwischen Sie sie bestimmt.«
    »Wissen Sie, was«, sagte Bev, »ich habe die Telefonnummer von dem Motel, wo sie wohnen - es ist irgendwo an der West Side. Ich rufe dort an und hinterlasse eine Nachricht. Wollen Sie noch einmal herkommen, falls sie heute noch auftauchen?«
    Ich überlegte. Es war nichts auf dem Terminkalender, das nicht warten konnte. »Klar. Rufen Sie an - mein Auftragsdienst weiß, wie man mich erreichen kann.« Ich gab ihr die Nummer.
    »Also gut, Alex - jetzt sollten Sie lieber hineingehen, bevor sie ein paar Millionen Pathogene mit über die Grenze schleppen. Bis später.«
    Sie warf sich die große Tasche über die Schulter und ging hinaus.
    Ich betrat die Strömungskammer.
    Der Junge hatte sich aufgesetzt, und die Blicke aus seinen dunklen Augen verfolgten jede meiner Bewegungen.
    »Ich sehe aus wie ein Astronaut, was?«
    »Aber ich weiß, wer Sie sind«, sagte er ernst. »Sie sehen alle ein bißchen anders aus.«
    »Das ist gut. Ich habe immer Probleme, die Leute zu erkennen, wenn sie solches Zeug tragen.«
    »Man muß genau hinsehen, mit scharfen Augen.«
    »Aha. Danke für den Rat.«
    Jetzt nahm ich den Karton mit dem Damespiel, faltete das Spielbrett auf und legte es auf den armähnlichen Tisch, der am Bettrand drehbar befestigt war.
    »Welche Steine möchtest du?«
    »Egal.«
    »Ich glaube, Schwarz zieht als erster. Möchtest du als erster ziehen?«
    »Mhm.«
    Er war für sein Alter erstaunlich gut bei dem Spiel, konnte vorausdenken, machte Pläne für die nächsten Züge und dachte logisch.
    Ein kluger kleiner Junge.
    Ein paarmal versuchte ich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber er ging nicht darauf ein. Es war keine Scheu oder fehlende Manieren. Seine Aufmerksamkeit war voll auf das Spiel gerichtet, und er konzentrierte sich so sehr, daß er kaum meine Stimme wahrnahm. Wenn er einen Zug gemacht hatte, lehnte er sich mit zufriedenem Ausdruck auf seinem ernsten, kleinen Gesicht in die Kissen und sagte: »Jetzt sind Sie dran«, mit einer Stimme, die vor Müdigkeit und Erschöpfung weich klang.
    Wir waren halb zu Ende mit dem Spiel - und er hatte es mir bis dahin alles andere als leicht gemacht -, als er plötzlich die Hand gegen seinen Leib preßte und einen gedämpften Schrei ausstieß.
    Ich beruhigte ihn und befühlte seine Stirn. Leichtes Fieber.
    »Dein Bauch tut weh, nicht wahr?«
    Er nickte und wischte sich die Augen mit dem Handrücken.
    Ich drückte auf den Rufknopf. Vangie, die Filipino-Schwester, tauchte auf der anderen Seite der Plastikwand auf.
    »Abdominale Schmerzen. Und Fieber«, sagte ich zu ihr.
    Sie zog die Stirn in Falten und verschwand, kam dann mit einem Becher flüssigem Acetominophen in ihrer behandschuhten Hand an.
    »Schieben Sie das Brett hier herüber, bitte.«
    Sie stellte die Medizin auf die Platte aus Kunststoff.
    »Sie können den Becher nehmen und ihm geben. In spätestens einer Stunde kommt sowieso die Visite vorbei.«
    Ich kehrte ans Bett des Jungen zurück, stützte ihn mit der einen Hand am Hinterkopf und hielt ihm mit der anderen den Becher an die Lippen.
    »Mach den Mund auf, Woody. Danach tut es nicht mehr so weh.«
    »Okay, Doktor Delaware.«
    »Ich finde, du solltest dich jetzt ausruhen. Du hast sehr gut gespielt.« Er nickte, und die Locken hüpften. »Unentschieden, okay?«
    »Würde ich sagen. Obwohl du mich zuletzt ganz schön in die Zange genommen hast. Darf ich wiederkommen und mit dir spielen?«
    »Mhm.« Er schloß die Augen.
    »Ruh dich jetzt erst mal aus.«
    Als ich die Kammer verlassen und den Papieranzug abgestreift hatte, schlief er bereits, mit offenen Lippen, als saugte er an dem weichen Kissen, auf das er seinen Kopf gebettet hatte.

5
    Am nächsten Morgen fuhr ich auf dem Sunset Boulevard unter einem leicht bedeckten Himmel mit Streifen von Schäfchenwolken nach Osten und dachte über meinen Traum der vergangenen Nacht nach: dieselben gespenstischen und undeutlichen Bilder wie damals, als ich angefangen hatte, für die Krebsforschung zu arbeiten. Es hatte gut ein Jahr gedauert, bis es mir gelungen war, diese Dämonen zu verscheuchen, und jetzt fragte ich mich, ob sie wirklich verschwunden waren oder nur im Unterbewußtsein gelauert hatten, jederzeit bereit, neues Unheil zu stiften.
    Raouls Welt war der reine Wahnsinn, und ich machte es ihm zum Vorwurf, mich wieder dort hineingezogen zu haben. Kinder durften

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