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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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einfach kein Krebsleiden bekommen.
    Niemand durfte Krebs bekommen.
    Die Krankheiten, die in den Bereich des räuberischen Krebses fielen, waren extremste Akte eines histologischen Verrats: der Körper, der sich selbst überfiel, bekämpfte, vergewaltigte und schließlich mordete, im rasenden Wahn verderbter Zellen, die in immer schnellerem Tempo Amok liefen.
    Ich steckte eine Kassette mit Musik von Lenny Breau in den Recorder und hoffte, daß das flüssige, geniale Spiel des großen Gitarristen meine Gedanken ablenken konnte von Plastikkammern und glatzköpfigen Kindern und einem kleinen Jungen mit hennaroten Locken und einem ›Warum gerade ich?‹-Blick in den Augen. Aber ich sah sein Gesicht und die Gesichter so vieler anderer kranker Kinder, die ich gekannt hatte, sah, wie sie aus den Arpeggios und Glissandi von Lenny Breau auftauchten, flüchtig, hartnäckig, mich um Rettung anflehend…
    In diesem Gemütszustand war selbst die Schäbigkeit, die den Beginn von Hollywood ankündigte, eine gnädige Ablenkung, waren selbst die halbnackten Huren willkommene, großherzige Erscheinungen am Rand des Weges.
    Ich fuhr auf der letzten Meile vor meinem Ziel mit mächtigem Bammel vor dem, was kommen mochte, stellte den Seville auf dem Parkplatz für Ärzte ab und ging mit gesenktem Kopf durch den Haupteingang des Krankenhauses, wodurch ich alle gesellschaftlichen Begegnungen und Gespräche abblockte.
    Ich lief zu Fuß die vier Treppen zur Onkologie hinauf und befand mich etwa in der Mitte des Korridors, als ich den Krach vernahm. Dann öffnete ich die Tür zur Abteilung mit den Strömungskammern, wodurch sich das Geräusch verdoppelte.
    Raoul stand, den Rücken zu den Kammern, mit hervorquellenden Augen, einer Gruppe von drei Leuten gegenüber und brüllte sie nacheinander in rasendem Spanisch und lautem Englisch an.
    Beverly Lucas hielt sich ihre Tasche vor die Brust wie einen Schild, aber die Tasche blieb nicht ruhig an Ort und Stelle, weil die Hände, mit denen sie sie umklammerte, heftig zitterten. Sie starrte auf einen entfernten Punkt hinter der weißbemäntelten Schulter von Melendez-Lynch und biß sich auf die Unterlippe, bemühte sich offenbar, nicht am Ärger und an der Demütigung zu ersticken.
    Das breite Gesicht von Ellen Beckwith zeigte den erschrockenen Ausdruck eines Menschen, der mitten in einem sentimentalen, höchst privaten Tun überrascht worden war. Sie war zum Geständnis bereit, ohne zu wissen, welches Verbrechen man ihr anlastete.
    Der dritte in der Gruppe war ein großer Mann mit schütterem Haar, einem Bluthundgesicht und schielenden Augen mit schweren Lidern.
    Sein weißer Kittel war aufgeknöpft und ließ darunter eine ausgebleichte Blue Jeans und ein billiges, buntes Hemd sehen, das man vielleicht früher einmal als psychedelisch bezeichnet hätte, das aber jetzt nur noch schlampig wirkte. Ein Gürtel mit einer übergroßen Schließe in Form eines Indianerkopfs grub sich in das weiche Fleisch seiner Taille ein. Seine Füße waren groß, die Zehen lang, fast wie Greiforgane. Das war zu erkennen, weil sie ohne Socken in mexikanischen huaraches steckten. Sein Gesicht war glattrasiert, die Haut blaß. Das schüttere Haar war mittelbraun mit grauen Strähnen und hing ihm bis auf die Schultern. Um den Hals, dessen Haut schon anfing, schlapp zu werden, trug er ein indianisches Muschelhalsband.
    Er stand da wie in Trance, einen heiter-gelassenen Ausdruck in den halb geschlossenen Augen.
    Raoul sah mich und hielt inne mit seiner Strafpredigt.
    »Er ist fort, Alex.« Dazu zeigte er auf die Strömungskammer aus Plastik, in der ich vor weniger als vierundzwanzig Stunden Dame gespielt hatte. Das Bett war leer.
    »Entführt unter den Augen dieser sogenannten Experten.«
    Er entließ das Trio mit einer überaus verächtlich wirkenden Handbewegung.
    »Können wir nicht anderswo darüber sprechen?« schlug ich vor. Der schwarze Junge in der Kammer nebenan schaute durch die transparente Wand heraus und hatte einen neugierigen, verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht.
    Raoul ignorierte meinen Vorschlag.
    »Sie sind es gewesen. Diese Quacksalber. Kommen hier rein, behaupten, daß sie Bestrahlungstechniker sind, und entführen ihn. Ja, wenn einer von den Leuten hier schlau genug gewesen wäre, das Behandlungsblatt anzuschauen, hätte er merken müssen, daß überhaupt keine Bestrahlung angeordnet war, und hätte dieses - dieses ungeheuerliche Verbrechen verhindert!«
    Jetzt richtete sich sein Zorn gegen die dicke

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