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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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durchaus verständlich ist, wenn man die beiden kennt. Augie glaubt, daß Raoul ein Faschist ist, und Raoul sieht in ihm einen subversiven, zersetzenden Einfluß. Es macht wirklich ungeheuren Spaß, in dieser Abteilung zu arbeiten, Alex.«
    »Und was ist mit dieser Sekte?« Sie zuckte mit den Schultern.
    »Was soll ich sagen? Auch so eine Gruppe verlorener Seelen. Ich weiß nicht viel über sie - es gibt inzwischen so viele religiös angehauchte Randgruppen, daß nur ein Spezialist genau über alle Bescheid wissen kann. Zwei Leute von der Sekte sind kürzlich hier aufgetaucht. Der Mann sah aus wie ein Lehrer: Brille, ungepflegter Bart, schwächliche Konstitution, braune Patentsandalen. Die Frau war älter, zwischen Vierzig und Fünfzig; sie sah aus wie eine, die früher mal eine heiße Nummer gewesen ist. Die beiden hatten den berühmten glasigen Blick in den Augen, dieses tranceartige ›Ich weiß alles über Gott und die Welt, aber ich sag’s nicht weiter‹. Die Moon-Leute, die Krishnas, die Berührer - alles ein und dieselbe Sorte.«
    »Glauben Sie, daß die zwei die Swopes beeinflußt haben?«
    »Vielleicht war das der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte«, räumte sie ein, »aber sie sind sicher nicht allein dafür verantwortlich. Raoul sucht natürlich nach einem Sündenbock, nach glatten und einfachen Antworten. Das ist seine Art. Die meisten Ärzte sind so. Eine Sofortlösung, selbst für die kompliziertesten Probleme.«
    Sie verschränkte die Arme und wandte den Blick ab.
    »Ich habe es wirklich satt«, sagte sie dann leise.
    Ich steuerte sie wieder in Richtung auf die Swopes.
    »Raoul hat sich gefragt, ob es vielleicht etwas damit zu tun hat, daß die Eltern nicht mehr jung waren, als das Kind geboren wurde. Haben Sie irgendwann einen Hinweis aufgeschnappt, daß der Junge eigentlich ein Betriebsunfall gewesen sein könnte?«
    »Ich bin ihnen leider nicht so nahe gekommen, um solche Dinge auch nur berühren zu können. Ja, ich hatte Glück, daß ich wenigstens die nackten Fakten aus ihnen herausbekommen konnte. Der Vater hat gegrinst und mich ›meine Liebe‹ genannt, und dabei hat er darauf geachtet, daß ich nie lange genug mit seiner Frau allein war, um eine engere Beziehung knüpfen zu können. Diese Familie hat sich regelrecht verschanzt. Vielleicht gibt es eine Menge Geheimnisse, doch die kommen nicht ans Tageslicht.«
    Vielleicht. Oder sie waren eingeschüchtert durch die fremde Umgebung, so weit von zu Hause entfernt, mit einem schwerkranken Kind. In solchen Situationen war nicht jeder dazu imstande, sich gegenüber Fremden zu öffnen. Vielleicht hatten sie etwas gegen Sozialarbeiter. Oder sie waren einfach Leute, die ihr Privatleben für sich behielten. Es gab eine ganze Menge von Möglichkeiten…
    »Und wie ist Woody?«
    »Ein reizendes Kerlchen. Er ist krank, seit ich ihn kenne, also kann man nicht ohne weiteres sagen, wie er wirklich ist. Aber er scheint sehr lieb zu sein. Und außerdem: Es sind doch immer die Netten, die Braven, die am meisten leiden müssen, nicht wahr?« Sie nahm ein Papiertaschentuch heraus und schneuzte sich. »Die Luft hier drinnen ist furchtbar. - Woody ist ein netter kleiner Junge, sehr anständig und äußerst passiv. Einer, der es den anderen recht machen will. Er weint bei den Behandlungen - vor allem die spinale Sonde tut ihm weh -, aber er hält still und macht uns keine ernsthaften Probleme.« Sie hielt einen Moment inne und kämpfte mit den Tränen.
    »Es ist wirklich ein Verbrechen, wenn sie ihn aus der Behandlung nehmen. Wissen Sie, ich mag den Melendez-Lynch nicht, aber verdammt noch mal, diesmal hat er recht! Sie bringen den Jungen um, wenn sie ihn der Behandlung entziehen, und nur, weil wir irgend etwas falsch gemacht haben… Das macht mich ganz verrückt!«
    Sie trommelte mit ihrer kleinen Faust auf den Schreibtisch, erhob sich dann und ging auf und ab. Ihre Unterlippe bebte.
    Ich stand ebenfalls auf, legte meinen Arm um ihre Schulter, und sie begrub den Kopf in der Wärme meines Jacketts.
    »Ich komme mir vor wie ein Idiot!«
    »Nein, nein, Bev, das sind Sie nicht.« Ich hielt sie fest. »Und es ist nicht Ihre Schuld.«
    Sie machte sich los und tupfte die Tränen aus den Augen. Als sie sich wieder einigermaßen gefaßt hatte, sagte ich: »Es wäre nett, wenn sie mich jetzt mit Woody bekannt machen würden.«
    Sie nickte und ging mit mir zu den Strömungskammern.
    Es gab insgesamt vier Module in der Einheit. Sie waren hintereinander plaziert

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