Flüchtig!
Grimasse.
»Scheiße - wo hab’ ich meinen Kopf? Der Junge!«
»Vielleicht geht es ihm gut. Kann ja sein, daß sie ihn in ein anderes Krankenhaus gebracht haben.« Es sollte hoffnungsvoll klingen, aber die Erinnerungen - Woodys schmerzverzerrtes Gesicht und der Blutfleck auf dem Teppich des Motelzimmers - waren zu mächtig, als daß ich an ein Happy-End glauben konnte.
»Und wenn er nicht behandelt wird, muß er sterben - ist das richtig?«
Ich nickte.
Er starrte durch die Windschutzscheibe hinaus. »Das ist eine Art von Mord, mit der ich es bisher noch nicht zu tun hatte.«
Raoul hatte das gleiche mit anderen Worten ausgedrückt. Ich sagte es Milo.
»Und dieser Melendez-Lynch will es nicht auf dem amtlichen Weg versuchen?«
»Er wollte ihn umgehen. Aber jetzt kommt es wohl doch dazu.«
Er schüttelte seinen großen Kopf und legte eine Hand auf meine Schulter. »Ich halte Augen und Ohren offen. Sowie ich etwas höre, lasse ich es dich wissen.«
»Das ist sehr anständig von dir. Und - danke für alles, Milo.«
»Es war nicht der Rede wert. Buchstäblich.« Wir schüttelten uns die Hände. »Sag hallo zu unserer Jungunternehmerin, sobald sie zurück ist.«
»Wird gemacht. Und beste Grüße an Rick.«
Ich stieg aus dem Wagen. Das Licht aus den Scheinwerfern des Matador streifte den Kies, als Milo hinausfuhr auf die Straße. Das gedämpfte Geräusch des Funkgeräts war wie ein fernes Punk-Rock-Konzert, das noch in der Luft hing, als er schon davongefahren war.
Ich selbst fuhr Richtung Norden auf den Sunset Boulevard, wollte von dort zum Beverly Glen abbiegen und nach Hause fahren. Dann fiel mir ein, daß mein Haus leer sein würde. Das Gespräch über Robin hatte ein paar Wunden aufgerissen, und ich wollte nicht allein sein mit meinen Gedanken.
Außerdem wurde mir klar, daß Raoul noch nichts von unseren Ermittlungen im Sea-Breeze-Motel wußte, daher hielt ich die Gelegenheit für günstig, ihn jetzt gleich noch zu informieren.
Er hockte an seinem Schreibtisch und war über handschriftliche Notizen gebeugt, die er für einen wissenschaftlichen Artikel zusammengetragen hatte. Ich klopfte leicht an die offene Tür.
»Alex!« Er stand auf, um mich zu begrüßen. »Wie ist es gegangen? Hast du sie überzeugen können?«
Ich berichtete ihm, was wir vorgefunden hatten.
»O mein Gott!« Er sank auf seinem Sessel zusammen. »Das ist unglaublich. Unglaublich!« Er stieß die Luft aus, preßte sich beide Hände gegen die Schläfen, nahm dann einen Bleistift und rollte ihn auf der Schreibtischplatte hin und her.
»Hat man viel Blut gefunden?«
»Einen Fleck auf dem Teppich, ungefähr zwanzig Zentimeter Durchmesser.«
»Das ist nicht genug für einen Blutsturz«, murmelte er. »Sonst keine Flüssigkeiten? Speichel, Erbrochenes?«
»Ich habe nichts gesehen. Aber der Raum war ein völliges Chaos; also kann ich es nicht behaupten.«
»Ein barbarischer Ritus, kein Zweifel. Ich sagte dir. Alex, es sind Wahnsinnige, diese verdammten Berührer. Ein Kind zu stehlen und dann auf solche Weise Amok zu laufen! Diese Ganzheitstheorie ist nichts weiter als eine Fassade, hinter der sich Anarchie und Nihilismus verbergen.«
Er traf seine Folgerungen in Quantensprüngen, aber ich hatte weder den Wunsch noch die Kraft, ihm zu widersprechen.
»Und die Polizei, was hat die getan?«
»Der Kriminalbeamte, der die Untersuchung geleitet hat, ist mit mir befreundet. Er hat mir einen Gefallen erwiesen, als er die Sache selbst in die Hand nahm. Nach der Familie wurde eine Suchmeldung in Umlauf gegeben, und der Sheriff in La Vista wurde beauftragt, sich nach ihnen umzusehen. Die Ermittlungsbeamten haben sich ausführlich mit dem Motelzimmer befaßt und einen Bericht ausgefertigt. Das ist alles, und mehr war auch nicht möglich, es sei denn, du entschließt dich, die Sache von dir aus weiterzutreiben.«
»Dein Freund - ist er diskret?«
»Sehr.«
»Gut. Wir können uns keine Nebenveranstaltung von Seiten der Medien leisten. Hast du jemals mit den Leuten von der Presse gesprochen? Es sind Idioten, Alex, und obendrein Aasgeier! Die blonden Mädchen von den Fernsehstationen sind die Schlimmsten. Blöde, mit aufgesetztem Grinsen, und immer bereit, einem die ungeheuerlichsten Erklärungen zu entlocken. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht einer oder eine von ihnen versucht, mich dahin zu bringen, daß ich ihnen erkläre, eine erfolgreiche Behandlung für Krebskrankheiten stehe direkt vor der Tür. Sie wollen Schnellinformationen,
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