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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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daß er sich Sorgen macht wegen der Patienten, vor allem wenn sie stark bluten… An dem Abend hab’ ich das schwerste Geschütz meiner Therapie auffahren müssen, das kannst du mir glauben, Alex.«
    Er löffelte sich den Rest Eiskrem in den Mund.
    »Das schwerste Geschütz«, wiederholte er und wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Aber - zum Teufel, das ist es doch, was die Liebe ausmacht, oder?«

9
    Auf der Fahrt vom Restaurant zurück zum Sea-Breeze-Motel erklärte mir Milo, daß er in der Sache vorläufig nichts unternehmen könne.
    »Verstehst du, ich kann da beim besten Willen nicht weitermachen«, sagte er. »Was wir bis jetzt haben, ist eine Vermißtmeldung, und selbst dabei drücken wir schon beide Augen zu, ehrlich gesagt.«
    »Ich weiß. Danke, daß du hergekommen bist.«
    »Keine Ursache. Für mich war es eine Unterbrechung der Routinearbeit. Und momentan habe ich es mit besonders beschissener Routine zu tun. Eine Schießerei unter Gangstern - zwei cholos, die dabei ins Gras gebissen haben -, ein Angestellter in einem Schnapsladen, der mit einer zerbrochenen Flasche umgebracht worden ist, und dann noch eine ganz reizende Sache, ein Vergewaltiger, der seinen Opfern danach auf den Bauch scheißt. Er hat mindestens sieben Frauen überfallen; die letzte hat er auch noch abgemurkst. Schändung allein reicht ihm anscheinend nicht.«
    »Mein Gott.«
    »Dein Gott kann diesem menschlichen Abschaum auch nicht mehr vergeben.« Er zog die Stirn in Falten und bog in die Sawtelle Avenue in Richtung Pico Boulevard ein. »Jedes Jahr sage ich mir, jetzt hast du den Tiefpunkt der Verworfenheit erlebt, und jedes Jahr beweist man mir dann auf höchst anschauliche Weise, daß ich mich getäuscht habe.
    Vielleicht hätte ich doch das Examen machen sollen.«
    Vor fünfzehn Monaten hatten er und ich ein bekanntes Kinderheim als Bordell für Pädophile entlarvt und im Verlauf der Ermittlungen eine Handvoll Morde geklärt. Er war als Held gefeiert und aufgefordert worden, die Prüfung abzulegen, die für die Beförderung zum Lieutenant erforderlich war. Er hätte sie zweifellos bestanden, weil er ein kluger, ja brillanter Kerl ist wie nur wenige in seinem Beruf, und die Vorgesetzten hatten ihm zu verstehen gegeben, daß die Stadtverwaltung bereit war, einen Schwulen für die Stellung zu akzeptieren, vorausgesetzt, daß er sich nicht allzu auffällig benahm. Er hatte lang mit sich gekämpft und zuletzt dankend abgelehnt.
    »Ausgeschlossen, Milo. Du wärst nicht glücklich geworden dabei. Denk an das, was du mir gesagt hast.«
    »Was denn?«
    »›Ich habe nicht Walt Whitman aufgegeben, um mich mit blödem Papierkram zu befassen.‹«
    Er lachte leise. »Ja, das stimmt.«
    Vor seinem Militärdienst in Vietnam hatte Milo an der Universität von Indiana amerikanische Literatur studiert, sich auf ein Leben als Dozent vorbereitet und gehofft, daß die akademische Welt eine Umgebung war, wo man seine sexuelle Orientierung akzeptierte. Er hatte schon sein M. A.-Diplom in der Tasche - und dann hatte ihn der Krieg zum Polizeibeamten gemacht.
    »Stell dir bloß vor«, erinnerte ich ihn, »die endlosen Besprechungen mit Schreibtischhengsten, ohne Kontakt zum wirklichen Leben, mit den Menschen auf der Straße.«
    Er hielt eine Hand hoch und tat, als ob er am Ersticken wäre.
    »Genug, gleich muß ich kotzen.«
    »Es war nur ein bißchen Abneigungstherapie.«
    Er bog mit dem Matador in den Parkplatz des Motels ein. Der Himmel hatte sich in der hereinbrechenden Dämmerung verdunkelt, und das Sea-Breeze-Motel profitierte davon, was die Ästhetik betraf. Ohne das helle Sonnenlicht sah es geradezu wohnlich aus.
    Das Büro war strahlend hell erleuchtet, und schon von draußen konnte man den iranischen Angestellten sehen, der hinter dem Pult saß und las. Mein Seville stand ziemlich einsam mitten auf dem Asphalt. Der halbleere Swimmingpool kam mir vor wie ein Krater.
    Milo hielt an und ließ den Motor laufen.
    »Ist dir klar, warum ich aus dieser Sache aussteigen muß?«
    »Natürlich. Kein Mord, kein Beamter der Mordkommission.«
    »Wahrscheinlich kommen diese Swopes noch einmal her, um den Wagen abzuholen. Ich hab’ ihn abschleppen lassen, also müssen sie sich erst bei uns melden, wenn sie ihn wiederhaben wollen. Und selbst wenn sie nicht mehr auftauchen, werden wir wahrscheinlich herausfinden, daß sie gesund und munter zu Hause eingetroffen sind.«
    Dann merkte er, was er gesagt hatte, und verzog das Gesicht zu einer

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