Flüchtig!
sich ihre Blicke, und sie gingen hinein ins Labor, um die Wunder des osmotischen Gleichgewichts zu beobachten.
Auf dem Weg nach draußen machte ich halt in der Cafeteria des Krankenhauses, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Es war nach sieben Uhr abends und der Speisesaal nur spärlich besetzt. Ein großer Mexikaner, der ein blaues Haarnetz trug, wischte mit einem Mop den Fußboden. Ein Schwesterntrio lachte und aß Krapfen. Ich gab Milchpulver und Zucker in meinen Kaffee und wollte ihn im Stehen trinken, als ich in den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm.
Es war Valcroix, und er winkte mir. Ich ging hinüber zu seinem Tisch.
»Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?«
»Gut.« Ich nahm meine Tasse und stellte sie auf den Tisch. Auf seinem Tablett standen eine noch halb volle Salatschüssel und zwei Gläser Wasser. Er tunkte mit einer Gabel voll Sojasprossen Salatsoße aus der Schüssel.
Das psychedelische Sporthemd hatte er gegen ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck der Grateful Dead vertauscht; der weiße Kittel lag auf dem Stuhl neben ihm. Aus der Nähe bemerkte ich, daß sein Haar oben auf dem Schädel ziemlich schütter wurde. Er hätte eine Rasur nötig gehabt, aber sein Bartwuchs war spärlich und eigentlich nur an der Oberlippe und am Kinn zu erkennen. Das etwas schlaffe Gesicht war von einer heftigen Erkältung gezeichnet; er schniefte mit geröteter Nase und fiebrigen Augen.
»Gibt’s was Neues über die Swopes?« fragte er.
Ich war es leid, die Geschichte schon wieder erzählen zu müssen, aber er war schließlich der Arzt des Jungen gewesen und mußte es wissen.
Ich gab ihm also eine kurze Schilderung dessen, was geschehen war.
Er hörte mir gelassen zu, und in den Augen hinter den dicken Lidern war keine Emotion zu erkennen. Als ich am Ende war, hustete er und tupfte sich die Nase mit einer Papierserviette ab.
»Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Bedürfnis, Ihnen zu versichern, daß ich daran völlig unschuldig bin«, sagte er.
»Das ist nicht nötig«, erwiderte ich, trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse rasch wieder weg. Ich hatte vergessen, wie schlecht das Gebräu schmeckte.
Seine Augen richteten sich auf die Unendlichkeit, und einen Moment lang dachte ich, er meditiere oder kehre in eine innere Welt zurück, wie er es während Raouls Schmährede getan hatte. Und ich merkte, daß meine Aufmerksamkeit sich ebenfalls auf die Wanderschaft begeben hatte.
»Ich weiß, daß mich Melendez-Lynch dafür verantwortlich macht«, sagte er schließlich. »Er macht mich für alles verantwortlich, was in der Abteilung schiefgelaufen ist, seit ich dort als Stipendiat arbeite. War er auch schon so, als Sie mit ihm gearbeitet haben?«
»Sagen wir, es hat auch bei mir eine ganze Weile gedauert, bis wir zu einer guten Zusammenarbeit gekommen sind.«
Er nickte ernst, zupfte ein paar Fäden aus dem Büschel von Sojasprossen und kaute sie.
»Warum sind die Swopes Ihrer Meinung nach untergetaucht?« fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
»Hatten Sie nicht etwas näheren Kontakt mit ihnen?«
»Nein. Warum hätte ich mit ihnen einen intensiveren Kontakt haben sollen als die anderen?«
»Ich hatte den Eindruck, daß die Swopes mit Ihnen relativ gut zurechtgekommen sind.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Raoul hat es angedeutet.«
»Er würde eine gute Beziehung nicht einmal merken, wenn sie ihn in den Hintern beißt.«
»Er fand, daß Sie besonders mit der Mutter ein gutes Verhältnis entwickelt hätten.«
Seine Hände waren rosig geschrubbt. Sie umklammerten die Salatgabel.
»Ich war Krankenpfleger, bevor ich Arzt wurde«, sagte er.
»Interessant.«
»Finden Sie?«
»Die Schwestern und die Krankenpfleger jammern immer über ihre untergeordnete Stellung und die schlechte Bezahlung und drohen damit, aufzuhören und Medizin zu studieren. Sie sind der erste, den ich kenne und der es tatsächlich geschafft hat.«
»Die Schwestern meckern, weil sie im Leben den kürzeren gezogen haben. Aber man kann auch ganz unten an der Leiter Einblicke gewinnen. Zum Beispiel, wie wertvoll es ist, wenn man mit den Patienten und ihren Familien redet. Ich habe das als Krankenpfleger stets getan, aber jetzt, als Doktor, hält man mich deshalb für einen Abweichler. Und das Tragische daran: es ist sogar so abweichlerisch, daß man es nicht übersieht. Aber ein gutes Verhältnis? Nein, wirklich nicht. Ich kannte die Familie kaum. Sicher hab’ ich mit der Mutter gesprochen.
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