Flüchtig!
vor.
»Doktor Delaware, ich brauche Ihre Hilfe!«
Ich versuchte, sie einzuordnen. Eine Patientin aus vergangenen Jahren, die sich in einer Krise an mich erinnerte? Wenn ja, würde es ihre Angst nur verstärken, falls ich sie nicht an der Stimme erkannte. Ich entschloß mich also, so zu tun, als wüßte ich, wer sie war, bis ich es durch das Gespräch herausgefunden hatte.
»Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte ich beruhigend.
»Es geht um Raoul. Er hat sich in furchtbare Schwierigkeiten gebracht.«
Da war es! Helen Holroyd. Ihre Stimme klang völlig verändert, wenn sie durch Emotionen aufgeheizt war.
»Was denn für Schwierigkeiten, Helen?«
»Er sitzt im Gefängnis, unten in La Vista!«
»Was?«
»Ich habe eben mit ihm gesprochen - sie haben ihm ein Telefonat erlaubt. Es hört sich furchtbar an. Weiß der Teufel, was sie ihm alles antun. Ein Genie, eingesperrt wie ein gewöhnlicher Verbrecher! O Gott, bitte helfen Sie!«
Sie war dem Zusammenbruch nahe, was mich nicht überraschte. Menschen, die so eiskalt wirkten wie sie, froren sich meist ganz bewußt ein, um ein vulkanisches Gebräu aus verwirrenden und gegensätzlichen Gefühlen unter Kontrolle zu bringen. Eine Art emotioneller Winterschlaf, wenn man so wollte. Sobald das Eis taute, kam das Innere mit der Wucht flüssiger Lava zum Vorschein.
Sie schluchzte, und ihre Atmung beschleunigte sich.
»Beruhigen Sie sich doch«, sagte ich. »Wir werden das schon aufklären. Sagen Sie mir erst einmal, wie es dazu gekommen ist.«
»Die Polizei ist gestern nachmittag ins Labor gekommen. Sie haben ihm gesagt, daß diese zwei Leute ums Leben gekommen sind. Ich war da, arbeitete auf der anderen Seite des Raums. Es schien ihm nichts auszumachen, als er es hörte. Er saß am Computer und gab Daten ein, hörte nicht einen Augenblick lang auf damit, während sie hier waren, sondern arbeitete einfach weiter. Ich wußte, daß da etwas nicht in Ordnung sein konnte. Normalerweise nimmt er solche Dinge nicht so gelassen hin. Er mußte in Wirklichkeit völlig aus dem Häuschen sein. Als die Polizei dann weg war, versuchte ich, mit ihm darüber zu reden, aber er hat mich hinausgeschickt. Dann ist er gegangen, hat einfach das Krankenhaus verlassen, ohne jemandem zu sagen, wohin er ging.«
»Und er fuhr nach La Vista.«
»Ja! Er muß die ganze Nacht darüber nachgedacht haben und früh am Morgen losgefahren sein, denn er kam gegen zehn dort an und muß mit jemandem eine heftige Auseinandersetzung gehabt haben. Ich weiß nicht, mit wem - so lange durfte er nicht mit mir sprechen, und er war so aufgeregt, daß vieles von dem, was er sagte, für mich unverständlich war. Ich rief danach sofort zurück und sprach mit dem Sheriff, aber der sagte, sie würden Raoul festhalten, bis ihn jemand von der Polizei in Los Angeles verhört habe. Mehr wollte er mir nicht sagen, erklärte aber noch, ich könnte natürlich jederzeit einen Anwalt hinzuziehen, und legte auf. Er war unfreundlich und barsch und redete über Raoul wie über einen Verbrecher - und über mich auch, weil ich mit ihm bekannt bin.«
Sie schniefte und erinnerte sich an die Demütigung.
»Es ist alles so - so bescheuert! Ich bin völlig durcheinander und weiß nicht, wie ich ihm helfen kann. Ich dachte sofort an Sie, weil Raoul gesagt hat, daß Sie gute Verbindungen zur Polizei haben. Bitte sagen Sie mir, was ich tun soll.«
»Vorläufig gar nichts. Lassen Sie mich nur ein paar Anrufe erledigen, dann melde ich mich wieder bei Ihnen. Von wo sprechen Sie?«
»Ich bin im Labor.«
»Bleiben Sie dort.«
»Ich gehe ohnehin selten weg.«
Milo war nicht im Büro, und der Mann an der Vermittlung wollte mir nicht sagen, wo ich ihn erreichen konnte, also fragte ich nach Delano Hardy, den Partner meines Freundes, und wurde nach etwa zehn Minuten Wartezeit mit ihm verbunden. Hardy ist ein adretter, fast glatzköpfiger Schwarzer mit schlagfertigem Witz und freundlichem Lächeln. Seine Fähigkeiten beim Umgang mit der Waffe haben mir einmal das Leben gerettet.
»Key, Doc.«
»Hallo, Del. Ich muß mit Milo sprechen. Der Bursche an der Vermittlung war mir zu zugeknöpft. Ist er denn noch nicht zurück aus La Vista?«
»Er ist nicht zurück, weil er gar nicht dort war. Er hat seine Absicht geändert. Wir arbeiten an einem sehr heißen Fall und sind dabei gestern einen großen Schritt weitergekommen.«
»Der Kerl, der seinen Opfern auf den Bauch scheißt?«
»Ja. Wir haben ihn erwischt, und Milo und ein anderer sitzen schon den
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