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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Unsicherheitsfaktor, aber jedes der beiden Opfer weist mindestens ein halbes Dutzend Schußverletzungen auf. Eine solche Schießerei erzeugt großen Lärm; außerdem müßten dann Geschosse gefunden werden. Nein, ich würde sagen, sie sind anderswo erschossen und dann dort verscharrt worden. Es gibt keine Fuß oder Reifenspuren, doch das ließe sich wieder mit dem starken Regen erklären.«
    Er knabberte mit scharfen, kleinen Zähnen an dem alten Weißbrot und kaute dann geräuschvoll.
    »Noch Kaffee?« fragte ich ihn.
    »Nein, danke. Meine Nervenenden sind auch ohne Kaffee schon ziemlich bloßgelegt.« Er beugte sich vor und hatte die dicken, spatelförmigen Finger auf dem Tisch ausgebreitet. »Alex, es tut mir leid. Ich weiß, daß du dir Sorgen machst um den Jungen.«
    »Es ist wie ein Alptraum«, gab ich zu. »Ich versuche, möglichst wenig an ihn zu denken.« Perverserweise tauchte im selben Augenblick das kleine, blasse Gesicht vor mir auf. Ein Damespiel in einem Plastikwürfel…
    »Als ich das Motelzimmer sah, dachte ich wirklich, sie seien nach Hause gefahren, und das Ganze sei eine reine Familienangelegenheit«, sagte Milo mürrisch. »Nach dem Zustand der Leichen meint der Gerichtsmediziner, daß sie vor etwa zwei Tagen umgebracht worden sind. Also vermutlich kurz nachdem das Kind aus dem Krankenhaus entführt worden ist.«
    »Im nachhinein sieht es immer anders aus, Milo«, erwiderte ich und bemühte mich, es nicht allzu väterlich klingen zu lassen. »Weder du noch irgend jemand anders hat so etwas ahnen können.«
    »Da hast du allerdings recht. Ich muß mal auf deine Toilette.«
    Nachdem er gegangen war, versuchte ich erst einmal, mich zu fassen und zu beruhigen, mit wenig Erfolg. Meine Hände zitterten, mein Schädel brummte. Allein zu sein in meiner Hilflosigkeit und in meinem Zorn war jetzt das letzte, was ich gebrauchen konnte. Daher versuchte ich mich durch Aktivität abzulenken. Ich hätte natürlich ins Krankenhaus fahren und Raoul über die Morde informieren können, aber Milo hatte mich gebeten, das nicht zu tun. Also ging ich im Zimmer auf und ab, schenkte mir Kaffee ein, goß ihn dann unangerührt in die Spüle, schnappte mir die Zeitung und schlug die Kinoseite auf. In einem Kino in Santa Monica gab es eine Matinee, einen Dokumentarfilm über William Burroughs, was so bizarr klang, daß ich den Film für geeignet hielt, um mit seiner Hilfe die Wirklichkeit zu verdrängen. Gerade als ich aus der Tür treten wollte, rief Robin aus Japan an.
    »Hallo, Geliebter«, sagte sie.
    »Hallo, Baby. Du fehlst mir.«
    »Du mir auch, Liebster.«
    Ich ging mit dem Telefon zum Bett und setzte mich vor ein gerahmtes Foto, auf dem wir beide zu sehen waren. Ich erinnerte mich genau an den Tag, als es aufgenommen worden war. Wir waren an einem Sonntag im April ins Arboretum gegangen und hatten einen vorbeigehenden Achtzigjährigen gebeten, uns den Gefallen zu tun. Trotz seiner zitternden Hände und seiner angeblichen Ahnungslosigkeit modernen Kameras gegenüber war es ein hübsches Bild geworden.
    Wir standen vor einem purpurnen Rhododendronbusch und schneeweißen Kamelien. Robin stand vorn und wandte mir den Rücken zu, während ich meine Arme um ihre Taille geschlungen hatte. Sie trug enge Jeans und einen weißen Rollkragenpullover, der ihre Kurven zur Geltung brachte. Die Sonne zauberte rötliche Lichter in ihr Haar, das lang und lockig wie kupferfarbene Weintrauben nach unten hing. Ihr Lächeln war weit und offen, die perfekten Zähne bildeten ein weißes Halbrund. Ihr Gesicht war liebenswert, die dunklen Augen wirkten lebhaft.
    Sie war innerlich und äußerlich eine zauberhafte Frau. Und der Klang ihrer Stimme am Telefon war schmerzhaft und schön zugleich.
    »Ich habe dir einen Seidenkimono gekauft, Alex. Graublau, zu deinen Augen passend.«
    »Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen. Wann kommst du heim?«
    »Ungefähr in einer Woche, Liebster. Hier versucht man jetzt, Werkzeuge zu entwickeln, mit denen man die Instrumente in Serie produzieren kann, und ich soll noch so lange bleiben, um sie zu inspizieren.«
    »Hört sich an, als ob alles gut läuft.«
    »Das kann man sagen. Aber deine Stimme klingt bedrückt. Ist etwas passiert?«
    »Nein. Das liegt wahrscheinlich an der Verbindung.«
    »Bist du sicher, Liebster?«
    »Ja. Hier ist alles in Ordnung. Du fehlst mir nur sehr, das ist alles.«
    »Du bist böse auf mich, nicht wahr? Weil ich so lange fortbleibe?«
    »Nein. Wirklich nicht. Es ist ja wichtig

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