Flügel aus Asche
uns zusammenarbeiten, zumindest für den Augenblick.«
Adeen verstand. Es gab noch zu viel zwischen ihnen zu klären. »Dann kommst du mit, um Schwärmer zu befreien?«
Talanna nickte mit sichtbarer Überwindung. »Aber zuerst brauche ich Papier und Tinte.« Sie griff nach beidem – auf Charrals Schreibtisch lag ein großzügiger Vorrat aufgeschichtet – und schob es in den Beutel, den sie bei sich trug.
»Du willst etwas aufschreiben? Warum überlässt du es nicht mir?
Ich
bin der Schreiber von uns beiden.«
Wortlos warf ihm Talanna den Beutel zu.
»Du hast ihn also tatsächlich besiegt. Nicht übel.«
»Ich begreife nicht, was du –«
… von Charral willst,
hatte Adeen sagen wollen, aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, als Talanna den reglosen Körper des Magiers auf den Bauch rollte und ihm mit einem scharfkantigen Kristallsplitter die Robe aufschlitzte. Mit beiden Händen zerriss sie den Stoff. Noch immer rührte sich Charral nicht, er ächzte nur leise, und ab und zu hustete er. Gemeinsam hatten sie ihn bis zum Fuß der Treppe getragen. Über ihren Köpfen prasselte das Feuer, fraß sich knackend durch die Regale und leckte an den Wänden empor. Nur die Steinwände hatten die Akademie bisher davor bewahrt, vollständig in Flammen aufzugehen. An einigen Stellen erschwerte der dicke Qualm das Atmen so sehr, dass sich Adeen den Saum seines Umhangs auf Nase und Mund pressen musste.
»Ich glaube, er hat den Schlüssel.«
»Auf seinem Rücken? Und – was für einen Schlüssel?«
Talanna erwiderte nichts, sondern fuhr mit wild entschlossener Miene fort, Charral zu entkleiden. Der Magier war muskulöser, als seine schlanke Gestalt vermuten ließ. Im nächsten Moment riss Adeen überrascht die Augen auf: Über die helle Haut von Charrals Schultern zogen sich feine Schriftzeichen in Schwarz und Blau, so klein, dass er sie erst erkennen konnte, als er sich direkt darüberbeugte.
»Ein Zauber!«
»Schreib ihn auf, Adeen. Wir werden jedes einzelne Zeichen brauchen.«
Einen Moment lang hätte Adeen am liebsten gelacht und nicht wieder aufgehört. Noch immer war ihm schwindelig und übel, alles schmerzte, und es fühlte sich an, als würde sein Kopf unabhängig von seinem Körper durch die brennende Akademie taumeln. Und nun sollte er sich neben den halbnackten Charral setzen und abschreiben, was ihm irgendjemand auf den Rücken tätowiert hatte, während Talanna danebenstand –
Aber er tat es. Seine zitternden Finger brachten die Zeichen mehr schlecht als recht aufs Papier. Doch er erkannte sehr wohl, dass es sich um einen komplexen Zauber handelte, Magie mit Schriftzeichen-Kombinationen, die seine Schreibfeder bislang noch nie kennengelernt hatte.
»War es das, was du wolltest?«, fragte er und richtete sich steifbeinig wieder auf. Jedes Innehalten machte es schwieriger, wieder in Bewegung zu kommen. »Diesen Zauber? Bist du deswegen zu Charral … zurückgekehrt?«
Talanna wandte das Gesicht ab. »Ja.«
»Was bewirkt er?« Was um alles in der Welt konnte so mächtig sein, dass Talanna bereit war, so viel dafür zu opfern?
»Später.« Ihr Blick war auf Charrals fahles Gesicht gerichtet, wie erstarrt. »Da ist noch etwas.«
Sie schob den Ärmel von Charrals Robe zurück und schnitt ein rotes, geflochtenes Band ab, das er um sein Handgelenk trug. Sofort erkannte Adeen das feurige Rot ihrer Haare.
»Das hat ihm erlaubt, mich zu kontrollieren«, sagte sie, »und ihn gegen meine Magie geschützt. Aber jetzt ist Schluss damit!« Sie warf das Band ins Feuer, wo es sich krümmte, als hätte es ein Eigenleben entwickelt, und einen Moment später zu Asche zerfiel. »Auf Gabta habe ich seine Macht gefühlt, als würde er mir die Luft abschnüren, aber hier ist er genauso hilflos wie ich. Ich habe nicht einmal gespürt, dass er gegen dich gekämpft hat.« Ihr Blick richtete sich auf Adeen. »Beantworte mir eine Frage: Warum hast du ihn nicht getötet?«
»Ich weiß es nicht.« Das war nicht die Wahrheit.
»Dann werde ich es tun.« Zwischen Talannas Fingern glänzte noch das Kristallstück, mit dem sie ihm die Robe zerschnitten hatte.
»Nein!«
»Weshalb nicht?«
»Willst du wirklich einen wehrlosen Mann töten?«
»Wenn er wieder zu sich kommt, wird er nicht mehr wehrlos sein.«
»Das wirst du dir nie verzeihen.«
Im fernen Widerschein der Flammen blitzten Talannas Augen wie die einer Katze. »Oder ich verzeihe es mir nie, wenn ich diese Gelegenheit verpasse.«
»Tu es nicht.
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