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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Teil der Akademie entfernt, der prächtig mit Teppichen, Schnitzereien und sonstigem Schmuck ausgestattet war. Hier lagen Schatten in den Gängen, da sich die Intervalle zwischen den Leuchtkristallen mehr und mehr vergrößerten, und Adeen fühlte gesprungene Bodenplatten unter seinen Sohlen. Sie hatten so viele Treppen abwärts hinter sich gebracht, dass sie sich bereits unter der Erde befinden mussten. Hierher würden der Rauch und die Flammen aus der Bibliothek zuletzt dringen, ihnen blieb also noch Zeit. Talanna führte ihn mit sicheren Schritten durch das Halbdunkel. Nur selten hielt sie inne, um sich zu orientieren. Sie bewegte sich beinahe lautlos, was Adeen nicht gelang. Manchmal warfen die Wände ein schwaches Echo seiner Schritte zurück, und er blieb mit hämmerndem Herzen stehen. Hitze umgab seinen Körper, und Wellen von Schmerz durchliefen ihn. Vor seinen Augen verschwamm der Gang und füllte sich mit rötlichen Schlieren. Er fragte sich, wie lange er noch durchhalten konnte, aber die Frage war sinnlos, und so versuchte er, sich abzulenken.
    »Dieser Angriffszauber, den du gegen mich verwendet hast«, begann er mit gedämpfter Stimme, »glaubst du, so etwas gelingt dir noch einmal?«
    Talanna griff in einen Beutel, den sie am Gürtel trug, und zog eine Handvoll Kristallsplitter hervor, die im schwachen Licht funkelten. »Mit diesem Abfall? Vielleicht ein- oder zweimal. Aber ich hoffe, das wird genügen. Die Wachen werden mich, wenn alles gutgeht, von sich aus hineinlassen, wenn ich dich als Charrals neuen Gefangenen ausgebe.«
    Adeen hielt mitten im Schritt inne und starrte sie an. Talanna erwiderte den Blick reglos.
    »Wer von uns hat denn angefangen, von Vertrauen zu reden? Nun musst du wohl mir vertrauen.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. »Immerhin siehst du aus wie jemand, der sich gegen seine Gefangennahme gewehrt hat.«
    Adeen versuchte, das Lächeln zu erwidern, aber er konnte nicht. Stattdessen berührte er unsicher Talannas Schulter. Einen Augenblick lang duldete sie es, dann streifte sie seine Hand ab.
    Sie durchquerten Gewölbe voller bizarrer Gegenstände. Die meisten, übermenschengroß, standen verborgen unter Decken und Planen, auf denen sich dicke Staubflocken abgesetzt hatten. Was sich unter den Planen befand, konnte Adeen nur erahnen. Manchmal sah es so aus, als würde eine erstarrte Menschengestalt anklagend einen Arm erheben. Halbblinde Spiegel warfen ihre Bilder als Schatten zurück, und in Gefäßen aus Siltkristall schwammen Gegenstände, die Adeen lieber nicht genauer ansehen wollte; Früchte und Wurzeln, die aussahen wie fließendes Frauenhaar, aber auch Teile menschlicher und tierischer Körper. Und – Adeen traute seinen Augen kaum – Leinwände, Bilder in Schwarzgrau oder in beißenden Farben. Sie zeigten Fantasiewesen, Drachen mit aufgespannten Schwingen, Löwen mit grauenvoll verzerrten Menschengesichtern und blutigen Mündern und ein trauriges weißes Hirschwesen, das in einem engen Gehege angebunden dalag wie ein Kettenhund, umgeben von einem blühenden Garten. Die Bilder strahlten eine Kraft aus, die Adeens Herz berührte, und er erkannte, dass es in Rashija stets mehr Bilder gegeben hatte, als die Ideologie des Herrschers in der Öffentlichkeit erlaubte.
    »Ritualgegenstände«, sagte Talanna leise an seiner Schulter. »Sie sagen, ein Abbild dessen, was sich in uns versteckt, hilft dabei, es hervorzurufen.«
    Adeens Erinnerungen wanderten zu seinem schwarzen Vogel, dem ersten Erscheinen seines Flügels auf dem Blatt direkt vor seinen Augen. »Ein Abbild, sagst du?« Er zögerte, als ihm ein neuer Gedanke kam. »Was … verbirgt sich in dir?«
    »Nichts. Ich bin nur eine Feuermagierin.« Ihre Stimme änderte sich plötzlich. »Wir sind fast da. Gib mir deinen Gürtel.«
    Adeen folgte ihrem Blick, doch er sah nichts als einen weiteren Gang vor sich, in dem die Leuchtkristalle seltene Lichttümpel bildeten. Mit steifen Fingern löste er seinen Gürtel und reichte ihn Talanna. Sie fesselte ihm mit dem breiten Leder die Handgelenke so fest, dass er unwillkürlich das Gesicht verzog. Auch die Stöße in seine angeschlagenen Rippen, mit denen sie ihn vorwärtstrieb, fielen alles andere als sanft aus. Kein Zweifel, Talanna beherrschte ihre Rolle. Adeen gestattete sich keine Zweifel daran, dass es eine Rolle war – hätte sie ihn ausliefern wollen, hätte sie dazu gewiss schon vorher eine Möglichkeit gefunden.
    Sie erreichten eine Doppeltür aus

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